Der Krieg am Ende der Welt
Zeit über, die der Ratgeber in Monte Santo verbrachte, Rat erteilend und arbeitend – er besserte die Kapellen am Berg aus, errichtete Steinmauern zu beiden Seiten des Kreuzwegs –, schlief er in der Grotte der Maria Quadrado. Später hieß es, er hätte dort nicht geschlafen, auch sie nicht,sondern im Gespräch über geistliche Dinge hätten sie die Nacht vor dem kleinen Altar verbracht, und es hieß auch, er hätte auf dem Strohsack geschlafen und sie über seinen Schlaf gewacht. Tatsache war, daß Maria Quadrado keinen Augenblick von seiner Seite wich, tagsüber neben ihm Steine schleppte und ihm nachts mit weit offenen Augen zuhörte. Trotzdem war ganz Monte Santo überrascht, als eines Morgens verlautete, der Ratgeber sei aus dem Dorf aufgebrochen und unter seinen Gefährten sei auch Maria Quadrado mit ihm fortgezogen.
»Auf einem Platz in der Oberstadt von Bahia steht ein altes Steingebäude, verziert mit weißen und schwarzen Muscheln und eingeschlossen von dicken gelben Mauern, wie ein Gefängnis. Es ist, wie dieser oder jener Leser bereits vermuten wird, eine Hochburg des Obskurantismus: das Kloster Nossa Senhora da Piedade. Es gehört den Kapuzinern, einem jener Orden, die berühmt sind für die Unterdrückung des Geistes und den missionarischen Eifer, der in ihnen praktiziert wird. Warum spreche ich Euch von einer Stätte, die in den Augen jedes Freidenkers ein Symbol des Verhaßten ist? Nun, um Euch zu erzählen, daß ich vor zwei Tagen einen ganzen Abend darin zugebracht habe.
Ich bin nicht hingegangen, um das Terrain zu sondieren im Hinblick auf eine jener Botschaften pädagogischer Gewalt in Kasernen, Klöstern, Präfekturen und überhaupt allen Hochburgen der Ausbeutung und des Aberglaubens, die nach dem Urteil vieler Genossen unumgänglich sind, um die Tabus zu bekämpfen, mit denen die Arbeiter diese Institutionen betrachten, weil man es ihnen so beigebracht hat, und ihnen zu beweisen, daß sie verwundbar sind. (Erinnert Ihr Euch an die Freidenker-Clubs in Barcelona, die dafür eintraten, die Klöster zu überfallen, um die Nonnen durch eine Schwangerschaft dem Frausein zurückzugeben, dem sie durch das Eingesperrtsein entzogen wurden?) Ich war in diesem Kloster, um mich mit einem gewissen Frei João Evangelista de Monte Marciano zu unterhalten, von dem ich – Fügung des Schicksals – einen merkwürdigen Bericht gelesen hatte.
Ein Patient von Doktor José Batista de Sá Oliveira, von dessenBuch über Schädelmessung ich Euch bereits berichtet habe und mit dem ich gelegentlich zusammenarbeite, ist ein Parteigänger des mächtigsten Mannes dieser Region: des Barons de Canabrava. Dieser Mann, Lelis Piedades, ein Rechtsanwalt, erzählte, während ihm Doktor Oliveira ein Purgativ gegen den Bandwurm verabreichte, daß eine Fazenda des Barons de Canabrava seit ungefähr zwei Jahren von ein paar Verrückten besetzt gehalten werde, die ein Niemandsland daraus gemacht hätten. Er sei mit der Klageerhebung vor den Gerichten befaßt, damit der Baron im Namen des Rechts auf Eigentum (für das der Baron ohne jeden Zweifel inbrünstig eintritt) die Fazenda zurückerlange. Daß sich eine Gruppe von Ausgebeuteten der Güter eines Aristokraten bemächtigt, klingt einem Revolutionär immer angenehm in den Ohren, selbst dann, wenn diese armen Kerle – wie der Rechtsanwalt sagte, während er auf der Schüssel saß und drückte, um das von der Chemie hart bedrängte Untier auszustoßen – religiöse Fanatiker sind. Aber was an diesem Bericht sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war der Umstand, daß diese Leute die Zivilehe verwerfen und das praktizieren, was Lelis Piedades als Promiskuität bezeichnet, was aber für jeden sozial gebildeten Menschen die Institution der freien Liebe ist. ›Angesichts eines so eklatanten Beweises von sittlicher Verderbtheit hat die Obrigkeit keine andere Wahl, als die Fanatiker von dort zu vertreiben.‹ Und als Beweis galt dem Rechtsverdreher eben jener ›Bericht‹, den er sich dank seiner dicken Freundschaft mit der Kirche, der er ebenfalls Dienste leistet, hatte beschaffen können. Frei João Evangelista de Monte Marciano war als Abgesandter des Bischofs von Bahia, dem Klagen über häretische Umtriebe zu Ohren gekommen waren, auf der Fazenda gewesen. Er war abgereist, um nachzusehen, was in Canudos vorging, und kam erschrocken und verärgert über das, was er gesehen hatte, schleunigst wieder zurück.
So jedenfalls steht es in dem Bericht, und für den Mönch muß
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