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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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getötet zu werden, flüchteten in ihre Grotte, da sie wußten, daß kein Mann in Monte Santo es wagen würde, ihnen ein Leidanzutun, wenn Maria Quadrado für sie eintrat. Sie lebte von milden Gaben und aß so wenig, daß immer noch etwas übrig blieb von dem, was ihr die Getreuen in ihre Grotte brachten, und so sah man sie jeden Abend Essen unter die Armen verteilen. Ihnen schenkte sie auch die Kleider, die sie geschenkt bekam, und nie, weder bei trockenem noch bei regnerischem Wetter, trug sie ein anderes Kleid als den Sack mit den zwei Löchern für die Arme, in dem sie gekommen war.
    Hingegen war ihr Verhältnis zu den Missionaren der Mission von Massacará, die nach Monte Santo kamen, um in der Herz-Jesu-Kirche den Gottesdienst abzuhalten, nicht sonderlich innig. Ständig machten die Missionare auf die falsch verstandene Religiosität aufmerksam, die sich außerhalb kirchlicher Kontrolle entwickelte. Sie erinnerten an die verzauberten Steine in der Gegend von Flores in Pernambuco, die der Häretiker João Ferreira und eine Schar seiner Anhänger mit dem Blut Dutzender von Personen (auch dem seinen) getränkt hatten, weil sie glaubten, damit den König Dom Sebastião entzaubern zu können, der die Geopferten zu neuem Leben erwecken und in den Himmel führen werde. Für die Missionare von Massacará war Maria Quadrado ein Fall von überspannter Frömmigkeit an der Schwelle zur Abtrünnigkeit. Sie ihrerseits hielt einen gewissen Abstand zu ihnen, obwohl sie niederkniete, wenn die Missionare vorbeikamen, ihnen die Hand küßte und sie um ihren Segen bat. Keiner hatte sie je mit diesen langbärtigen Patres, deren Kutten sich wölbten und die eine manchmal schwer verständliche Sprache sprachen, so vertraut und direkt umgehen sehen wie mit den Leuten vom Dorf.
    Auch warnten die Missionare in ihren Predigten die Getreuen vor den Wölfen, die sich im Schafspelz in den Pferch schlichen, um die Herde zu reißen. Anders gesagt, vor diesen falschen Propheten, die Monte Santo anzog wie Honig die Fliegen. Sie erschienen in den Gassen, mit Schaffellen angetan wie der Täufer oder in Gewändern, die Ordenskleider imitierten, erklommen den Kalvarienberg und hielten dort oben flammende, unverständliche Predigten. Für die Leute waren sie eine Quelle der Zerstreuung, nicht mehr und nicht weniger als die Wandererzähler oder der Riese Pedrino, die Frau mit Bart oder der Mann ohne Knochen im Zirkus des Zigeuners. Aber MariaQuadrado ging nicht einmal in die Nähe der Menschentrauben, die sich um diese wundersamen Prediger bildeten.
    Deshalb waren die Leute überrascht, als sie Maria Quadrado zum Friedhof gehen sahen, um den eine Gruppe Freiwilliger eine Mauer zu ziehen begann, angespornt von den Ermahnungen eines dunkelhäutigen Mannes mit langem Haar und violettem Gewand, der vor ein paar Tagen mit einer Schar von Leuten, darunter ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, das auf allen vieren lief, im Ort angekommen war und sie getadelt hatte, weil sie sich nicht einmal die Mühe machten, eine Mauer um die Erde zu errichten, in der ihre Toten lagen. Mußte der Tod, der es den Menschen erlaubte, Gott von Angesicht zu sehen, nicht geehrt werden? Schweigend ging Maria Quadrado zu den Leuten, die Steine schleppten und sie rund um die von der Sonne versengten Kreuze aufeinandersetzten. Schulter an Schulter arbeitete sie mit ihnen bis Sonnenuntergang. Dann saß sie auf dem Hauptplatz unter den Tamarinden in dem Kreis, den die Menschen um den Dunkelhäutigen bildeten, und hörte ihm zu. Obwohl er von Gott sprach und sagte, daß es, um die Seele zu retten, wichtig sei, den eigenen Willen abzutöten – dieses Gift, das jedem die Vorstellung gab, ein kleiner Gott zu sein und größer als die Götter, die um ihn waren – und ihn zu ersetzen durch die Dritte Person, die bauende, die schaffende, die fleißige Ameise, und ähnliche Dinge mehr, sagte er sie in einer klaren Sprache, von der sie jedes Wort verstand. Obwohl religiös und tief, erinnerte seine Rede an die heiter-freundlichen Gespräche, welche die Familien nach Tisch auf der Gasse führten, wenn sie die Abendluft genossen. Zusammengekauert, ohne ihn etwas zu fragen, ohne die Augen von ihm abzuwenden, hörte Maria Quadrado ihm zu. Als es schon spät war und die Leute, die noch zugegen waren, dem Fremden ein Dach zum Schlafen anboten, schlug auch sie ihm – schüchtern, denn alle sahen sie an – ihre Grotte vor. Ohne zu überlegen, folgte ihr der hagere Mann den Berg hinauf.
    Die ganze

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