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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Erfahrung, die er gemacht hat, in der Tat bitter sein. Für ein freies Wesen aber ist das, was Salbaderei in diesem Bericht zwischen den Zeilen erraten läßt, geradezu aufregend. Der Instinkt der Freiheit, den die Klassengesellschaft durch ihre zermalmenden Maschinen – Familie, Schule, Religion undStaat – erstickt, leitet die Schritte dieser Menschen, die sich unter anderem gerade gegen diejenigen Institutionen aufgelehnt zu haben scheinen, die Gefühlen und Wünschen Zügel anlegen wollen. Unter dem Vorwand, sie lehnten die nach dem Sturz des Kaiserreichs in Brasilien eingeführte Zivilehe ab, haben die Leute von Canudos gelernt, sich frei zu vereinigen und wieder zu trennen, sofern beide, Mann und Frau, damit einverstanden sind, und sich über die Vaterschaft der schwangeren Bäuche keine Sorgen zu machen, denn ihr Oberhaupt oder Führer – sie nennen ihn ›Ratgeber‹ –, hat sie gelehrt, daß alle Wesen durch die bloße Tatsache ihrer Geburt legitim sind. Klingt Euch nicht manches daran vertraut? Ist es nicht, als ob hier bestimmte zentrale Ideen der Revolution Gestalt annähmen? Die freie Liebe, die freie Vaterschaft, die Aufhebung der Grenze zwischen legitimen und illegitimen Kindern, die Überzeugung, daß Würde oder Würdelosigkeit eines Menschen nichts Ererbtes sind? Hatte ich also nicht recht, einen natürlichen Widerwillen zu überwinden und den Kapuziner aufzusuchen?
    Der Winkeladvokat des Barons de Canabrava selbst hat die Begegnung für mich erwirkt, in der Annahme, ich interessierte mich seit Jahren für das Thema des religiösen Aberglaubens (was übrigens zutrifft). Sie fand im Refektorium des Klosters statt, einem Raum, überladen mit Heiligen- und Märtyrerbildern und mit Blick auf einen kleinen, gefliesten Klostergarten und einen Brunnen, an den von Zeit zu Zeit Kapuzenmänner in ihren braunen Kutten und weißen Kordeln kamen und Eimer voll Wasser hochzogen. Der Mönch beantwortete alle meine Fragen, und als er entdeckte, daß wir in seiner Muttersprache, Italienisch, miteinander sprechen konnten, wurde er redselig. Ein noch junger Südländer, klein, das Haar lockig und der Bart üppig. Seine breite Stirn verrät den Phantasten, die fliehenden Schläfen und der gedrungene Nacken deuten auf einen nachtragenden, kleinlichen und leicht reizbaren Geist. Und in der Tat konnte ich im Verlauf des Gesprächs feststellen, daß der Mönch von Haß auf Canudos erfüllt ist, weil die Mission, die ihn dorthin führte, gescheitert ist und ihm der Aufenthalt unter Häretikern Angst eingeflößt haben dürfte. Aber auch abgesehen von dem Übertriebenen und Gehässigen seiner Aussagen ist das, was an Wahrem bleibt, eindrucksvoll genug.Was ich gehört habe, könnte Stoff für viele Nummern der Etincelle de la révolte abgeben. Das Wesentliche ist, daß der Besuch meinen Verdacht bestätigt hat. Es stimmt, daß in Canudos einfache und unerfahrene Menschen kraft ihres Instinkts und ihrer Phantasie vieles von dem in die Praxis umsetzen, von dem wir europäischen Revolutionäre wissen, daß es notwendig ist, um die Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen. Urteilt selbst. Frei João Evangelista hielt sich eine Woche lang in Canudos auf, in Begleitung zweier Mönche: eines anderen Kapuziners aus Bahia und eines Pfarrers aus einem Canudos benachbarten Dorf, eines gewissen Dom Joaquim, den er, nebenbei bemerkt, verabscheut (er beschuldigt ihn, er sei ein Säufer und unrein und hege Sympathie für die Banditen). Schon unterwegs, auf der mühsamen, achtzehn Tage dauernden Reise, stellten sie ›Anzeichen von Unbotmäßigkeit und Anarchie‹ fest, denn kein Spurenleser war bereit gewesen, ihnen den Weg zu weisen, und drei Meilen vor der Fazenda stießen sie auf eine Vorhut von Männern mit Araberflinten und Macheten, die ihnen feindselig entgegentraten und sie nur auf Fürsprache von Dom Joaquim, den sie kannten, ihren Weg fortsetzen ließen. In Canudos fanden sie in den strohgedeckten Lehmhütten eine Menge abgezehrter, hohlwangiger, in Lumpen gekleideter Menschen, bis an die Zähne bewaffnet, ›um den Ratgeber zu schützen, dem die Obrigkeit schon früher nach dem Leben getrachtet habe‹. Ich höre noch die Worte, mit denen der Kapuziner den unheimlichen Eindruck schilderte, den der Anblick so vieler Waffen auf ihn gemacht hatte. ›Sie legen sie weder zum Essen noch zum Beten ab und protzen selbstgefällig mit ihren Stutzen, Karabinern, Pistolen, Messern und Patronengürteln, als stünden sie im Begriff,

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