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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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er gedacht hatte. Und die drei Wochen, die er in dieser Mausefalle verbracht hat, bestätigen diesen Gedanken. Nicht daß die Leute nicht kämpfen; sie haben es getan und tun es noch. Er hat gesehen, wie bravourös sie seit Angico den Angriffen der Jagunços Widerstand geleistet haben, es aufgenommen haben mit diesem feigen, heimtückischen Gegner, der sich nicht zeigt, der die Gesetze und Manieren des Krieges nicht kennt, der sich im Hinterhalt auf die Lauer legt, aus seinem Versteck heraus heimlich angreift und sich in Luft auflöst, sobald die Patrioten Front gegen ihn machen. Obwohl der vierte Teil der Streitkräfte bei dieser Expedition fiel oder verwundet wurde, kämpften die Männer in diesen drei Wochen weiter, obwohl das Essen knapp wurde und sie allmählich alle Hoffnung verloren, daß der Nachschub noch ankam.
    Aber wie ließ sich die Vaterlandsliebe mit der Geschäftemacherei in Einklang bringen? Was für eine Liebe zu Brasilien ist das, die Menschen, die das Edelste, das Vaterland und die Zivilisation, verteidigen, diesen schmutzigen Handel erlaubt? Auch das eine Wirklichkeit, die Teotônio Leal Cavalcanti demoralisiert: wie hier aufgrund der Knappheit gehandelt und spekuliert wird. Anfangs wurde nur der Tabak von Stunde zu Stunde teurer verkauft und weiterverkauft. Erst diesen Morgen hat er einen Kavalleriemajor zwölftausend Reis für eine Handvoll bezahlen sehen ... Zwölftausend Reis! Das Zehnfache dessen, was ein Päckchen feinster Tabak in der Stadt kostet. Später sind alle Preise schwindelerregend in die Höhe geklettert, und alles ist Gegenstand überhöhter Forderungen geworden. Da die Essensrationen schmal sind – die Offiziere bekommen ungesalzene grüne Maiskolben, die Soldaten Pferdefutter –, werden für Eßwaren phantastische Preise gezahlt: 34 000 Reis für ein viertel Zicklein, 5000 für einen Maiskolben, 25 000 für Zuckerkruste, 5000 für eine Tasse Maisbrei, 1000 bis 2000 füreine Imbuzeiro-Wurzel oder einen eßbaren Kaktus. Zigaretten werden zu 1000 Reis gehandelt, eine Tasse Kaffee zu 5000. Und das schlimmste ist, daß auch er für Schmuggel anfällig geworden ist. Auch er hat aus Hunger oder aus dem Bedürfnis zu rauchen sein ganzes Geld ausgegeben und 5000 Reis für einen Löffel Salz gezahlt, einen Artikel, den er erst jetzt als begehrenswert kennengelernt hat. Am meisten entsetzt ihn, daß der größte Teil dieser Waren dunklen Ursprungs ist, aus den Vorratskammern der Kolonne gestohlen oder geraubter Raub.
    Ist es nicht erstaunlich, daß sie unter Umständen, in denen ihr Leben jede Sekunde auf dem Spiel steht, daß sie in dieser Stunde der Wahrheit, die sie läutern und nur das Erhabene in ihnen zurücklassen sollte, diese Gier zeigen, Geschäfte zu machen und Geld zu horten? Nicht das Erhabene verstärkt sich angesichts des Todes, sondern das Schmutzige und Verwerfliche, Gewinnstreben und Raffgier, denkt Teotônio. Die Vorstellung, die er sich vom Menschen gemacht hat, ist in diesen Wochen brutal befleckt worden.
    Ein Mann, der zu seinen Füßen weint, reißt ihn aus seinen Gedanken. Im Unterschied zu anderen, die laut schluchzen, weint dieser still, wie beschämt. Teotônio kniet sich neben ihn. Es ist ein alter Soldat, er kann den Juckreiz nicht mehr aushalten.
    »Ich hab mich gekratzt, Herr Doktor«, murmelt er. »Es ist mir gleich, ob es sich infiziert oder sonstwas.«
    Er ist dieser diabolischen Waffe der Kannibalen zum Opfer gefallen, die eine beträchtliche Anzahl von Patrioten die Haut zerstört hat: den Caçarema -Ameisen. Anfangs schien es ein natürliches Verhängnis zu sein, daß diese grausigen Insekten, die sich in die Haut einbohren, Schwellungen und einen fürchterlichen Juckreiz hervorrufen, in der Kühle der Nacht aus ihren Verstecken kamen und sich auf die Verwundeten stürzten. Aber dann entdeckte man, daß Jagunços die Ameisennester, runde, aus Lehm errichtete Bauten, ins Lager heraufbrachten und zerschlugen, damit die hungrigen Schwärme über die Verwundeten herfielen ... Und es sind Kinder, die von den Kannibalen angehalten werden, sich anzuschleichen und die Ameisennester aufzustellen! Eines wurde eingefangen, und demjungen Teotônio wurde berichtet, der »Jagunçinho« habe sich wie ein wildes Tier gegen die Soldaten gewehrt und ihnen Schimpfwörter an den Kopf geworfen wie ein zungenfertiger Bordellwirt.
    Als er dem alten Soldaten das Hemd hochhebt, um seine Brust zu untersuchen, sieht Teotônio, daß die violetten Stellen von gestern jetzt ein

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