Der Krieg am Ende der Welt
Uauá habe ich gewußt, daß mir etwas Tragisches in den Weg gekommen ist. Ein Fluch, ein Zauber.«
»Willst du Wasser?« flüstert Teotônio.
»Es ist nicht leicht, sich umzubringen, wenn man keine Hände und keine Augen hat«, fährt Pires Ferreira fort. »Ich habe versucht, den Kopf gegen den Stein zu schlagen. Es nützt nichts. Auch nicht, den Boden aufzulecken; es gibt keine Steine, die man schlucken könnte, und ...«
»Sei still, Manuel da Silva«, sagt Teotônio und legt ihm die Hand auf die Schulter. Aber es kommt ihm heuchlerisch vor, einen Mann zu beruhigen, der vollkommen ruhig ist, der weder laut noch hastig spricht, der von sich wie von einem anderen redet.
»Hilfst du mir? Ich bitte dich darum, im Namen unserer Freundschaft. Eine Freundschaft, die hier entstanden ist, ist etwas Heiliges. Hilfst du mir?«
»Ja«, murmelt Teotônio Leal Cavalcanti. »Ich helfe dir, Manuel da Silva.«
IV
»Seinen Kopf?« wiederholte Baron de Canabrava. Er stand am Gartenfenster, war hingegangen unter dem Vorwand, es wegen der zunehmenden Hitze zu öffnen, in Wirklichkeit aber, um nach dem Chamäleon Ausschau zu halten, dessen Abwesenheit ihn ängstigte. Suchend streiften seine Augen nach allen Seiten über den Garten. Wie um ihn zu foppen, hatte es sich einmal mehr unsichtbar gemacht. »Die Nachricht, er sei enthauptet worden, stand in der Times. Ich habe das in London gelesen.«
»Die Leiche wurde enthauptet«, berichtigte ihn der kurzsichtige Journalist.
Der Baron kehrte in seinen Sessel zurück. Er fühlte sich niedergeschlagen, interessierte sich aber doch wieder für das, was sein Besucher sagte. War er ein Masochist? Das alles brachte ihm Erinnerungen zurück, riß die Wunde wieder auf. Aber er wollte es hören.
»Haben Sie ihn manchmal allein gesehen?« fragte er und sah dem Journalisten in die Augen. »Konnten Sie sich ein Bild von ihm machen, herausfinden, was für ein Mensch er war?«
Sie fanden das Grab erst zwei Tage, nachdem die letzten Stellungen gefallen waren. Sie hatten erreicht, daß ihnen der Beatinho den Ort verriet, an dem er begraben lag. Unter der Folter. Natürlich nicht einer beliebigen Folter. Der Beatinho war der geborene Märtyrer, und bloße Gewaltanwendung, wie Fußtritte, Verbrennungen, Kastration, hätten ihn nicht zum Sprechen gebracht, auch nicht die Drohung, ihm die Zunge abzuschneiden oder ihn zu blenden. Denn geblendet, ohne Zunge und ohne Geschlecht schickten sie manchmal gefangene Jagunços zurück, in der Annahme, ihr Anblick werde die Kampfmoral derer, die noch Widerstand leisteten, brechen. Sie erreichten das Gegenteil. Aber für den Beatinho fanden sie die einzige Folter, der er nicht standhalten konnte: die Hunde.
»Ich glaubte, alle Anführer der Aufständischen zu kennen«, sagte der Baron. »Pajeú, João Abade, João Grande, Taramela, Pedrão, Macambira. Aber der Beatinho?«
Das mit den Hunden war eine Geschichte für sich. Das viele Menschenfleisch, der Leichenschmaus während der monatelangen Belagerung hatte sie wild gemacht wie Wölfe oder Hyänen. Rudel reißender Hunde erschienen auf der Suche nach Menschenfleisch in Canudos und sicher auch im Lager des Gegners. »Erfüllte sich an diesen Hundemeuten nicht die Prophezeiung? Waren diese Hunde nicht die Geschöpfe aus der Apokalypse?« schnarrte der kurzsichtige Journalist und hielt sich den Magen. »Jemand muß ihnen gesagt haben, daß der Beatinho vor Hunden einen besonderen Abscheu hatte, besser gesagt, vor dem Hund, dem personifizierten Bösen. Sicher haben sie ihn vor eine wilde Meute gestellt, und angesichts der Gefahr, von diesen Boten des Hundes in Stücke gerissen und zur Hölle geschleppt zu werden, hat er sie an die Stelle geführt, an der sie den Ratgeber begraben haben.«
Der Baron vergaß das Chamäleon und die Baronin. In seiner Vorstellung wühlten Meuten heulender, wild gewordener Hunde in Bergen von Leichen, streckten die Schnauzen in Bäuche, wimmelnd von Würmern, schnappten nach mageren Waden, stritten sich knurrend um Gedärme, Knorpel, Köpfe. Und während die einen Leichen ausweideten, fielen andere Meuten, auf der Suche nach unverwestem Fleisch und frischen Knochen, in ahnungslose Dörfer ein und stürzten sich auf Rinderhirten, Ziegenhirten und Wäscherinnen.
»Sie hätten selbst auf den Gedanken kommen können, daß er im Sanktuarium begraben war. Wo sonst hätten sie ihn beerdigen sollen? Sie gruben an der Stelle, die ihnen der Beatinho gezeigt hatte, und in drei Meter Tiefe
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