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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Soldat mit freigelegtem Ellenbogenknochen und auf der anderen Seite ein Bauchschuß, dem mangels Schließmuskeln alle Exkremente austreten. In den Kotgestank mischt sich der Geruch nach versengtem Fleisch: weiter draußen werden Leichen verbrannt. Außer Chinin und Karbolsäure hat die Ambulanz des Feldlazaretts nichts mehr. Das Jod ist gleichzeitig mit dem Chloroform ausgegangen, und in Ermangelung anderer Antiseptika benutzten die Ärzte Wismut-Subnitrat und Quecksilberchlorid. Nun sind auch die ausgegangen. Teotônio wäscht die Wunde mit einer Lösung aus Wasser und Karbolsäure. Er tut es in der Hocke, die Lösung schöpft er mit der Hand aus dem Becken. Anderen Verwundeten gibt er in einem halben Glas Wasser Chinin zu schlucken. Da man mit Sumpffieber gerechnet hatte, waren große Mengen Chinin mitgeführt worden. »Das Syndrom im Krieg gegen Paraguay«, hatte Doktor Gama gesagt. Hier aber, in diesem sehr trockenen Klima, wo es Moskitos nur an den wenigen Morasten gibt, kommt Sumpffieber nicht vor. Teotônio weiß, daß Chinin seinen Verwundeten nicht helfen wird, aber wenigstens gibt er ihnen die Illusion, daß sie versorgt werden. Genau an dem Tag seines Unfalls hatte Doktor Gama damit begonnen, mangels anderer Medikamente Chinin auszuteilen.
    Er denkt über diesen Unfall nach, wie er passiert ist, wie es vermutlich dazu gekommen ist. Denn er ist nicht dabei gewesen, er hat ihn erzählt bekommen, und neben den verwesenden Leibern ist dieser Bericht sein Alptraum in den wenigen Stunden, die er schlafen kann: der Alptraum von dem lustigen Chirurgen im Hauptmannsrang, der die Krupp-Kanone 34 abschießt und in der Eile das Rohr schlecht geschlossen hat. Als die Zündung erfolgt, springen Funken aus dem halb offenen Verschluß in ein nahe stehendes Pulverfaß. Meterhoch seiDoktor Alfredo Gama in die Luft geflogen, hat er die Artilleristen berichten hören, und zwanzig Schritt weiter als unförmiger Klumpen Fleisch heruntergefallen. Leutnant Odilon Coriolano de Azevedo, Fähnrich José A. do Amaral und drei Soldaten sind mit ihm ums Leben gekommen (fünf weitere haben Verbrennungen). Als Teotônio auf den Monte Mário kam, wurde gerade die Leiche verbrannt, einer Anordnung entsprechend, die der Sanitätsdienst vorgeschlagen hatte, denn die Toten zu beerdigen war schwierig. Im ungebrochenen Stein Gräber auszuheben ist Energieverschwendung: Hacken und Pickel werden schartig, ohne etwas auszurichten. Der Befehl, die Leichen zu verbrennen, hatte zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen General Oscar und dem Kaplan der Ersten Kompanie geführt, dem Kapuzinerpater Lizzardo, der die Verbrennungen eine »freimaurerische Perversität« nennt.
    Der junge Teotônio verwahrt ein Andenken an Doktor Alfredo Gama: ein wundertätiges Band des Senhor do Bonfim, das ihnen fahrendes Volk an jenem Abend in Bahia auf der Praça da Catedral Basílica verkauft hat. Er wird es der Witwe seines Vorgesetzten bringen, wenn er nach São Paulo zurückkommt. Aber Teotônio bezweifelt, daß er die Stadt je wiedersehen wird, in der er geboren wurde und studiert hat und aus der er in romantischem Idealismus, um dem Vaterland und der Zivilisation zu dienen, als Freiwilliger ausgerückt ist.
    In diesen Monaten wurden Überzeugungen untergraben, an denen, wie ihm schien, nicht zu rütteln war. Zum Beispiel seine Vorstellung von Vaterlandsliebe, ein Gefühl, von dem er früher geglaubt hat, es liege allen diesen Männern im Blut, die aus ganz Brasilien zusammenströmten, um die Republik gegen den Obskurantismus, gegen Verrat und Barbarei zu verteidigen. Die erste Enttäuschung hatte er in Queimadas erlebt, in den zwei langen Monaten des Wartens, in dem Chaos, zu dem das Städtchen als Hauptquartier der Ersten Kolonne geworden war. In der Sanitätsdienststelle, in der er mit Hauptmann Alfredo Gama und anderen Ärzten arbeitete, entdeckte er, daß sich viele Männer unter dem Vorwand, bei schlechter Gesundheit zu sein, vor diesem Krieg drücken wollten. Er sah, wie sie sich Krankheiten ausdachten, die Symptome auswendig lernten und sie aufsagten wie gelernte Schauspieler, um sich untauglichschreiben zu lassen. Doktor Gama lehrte ihn, die ausgefallenen Methoden zu durchschauen, mit denen sie sich Fieber, Erbrechen, Durchfall beibrachten. Daß unter den Drückebergern nicht nur gemeine Soldaten, also ungebildete Leute, waren, sondern auch Offiziere, war ein ziemlicher Schock für Teotônio gewesen.
    Die Vaterlandsliebe war nicht so verbreitet, wie

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