Der Krieg am Ende der Welt
war Schutt und Gräben, und eine geschäftige Menge grub, füllte Säcke, Kanister, Fässer voll Erde und Sand, schleppte Holz, Dachziegel, Backsteine, Steinbrocken und selbst Tierskelette zu der Barriere, die an der Stelle entstand, wo früher ein Bretterzaun den Friedhof begrenzt hatte. Die Schießerei hatte aufgehört oder die taub gewordenen Ohren Juremas unterschieden sie nicht mehr von den anderen Geräuschen. Eben sagte sie dem kurzsichtigen Journalisten, daß nicht Pajeú, dafür aber Antônio und Honório Vilanova hier seien, als ein Einäugiger sie anraunzte, worauf sie denn warteten. Der kurzsichtige Journalist ließ sich auf den Boden fallen und begann zu scharren. Jurema besorgte ihm ein Stück Eisen, damit er sich leichter tat. Dann stürzte sie sich einmal mehr in die Routine, Säcke zu füllen und sie dahin zu tragen, wo ihr gesagt wurde, und Wände einzureißen, um Steine, Ziegel, Holz für die Barriere zu beschaffen, die schon mehrere Meter hoch und breit war. Von Zeit zu Zeit ging sie zu der Stelle, wo der kurzsichtige Journalist Erde und Kies zusammenscharrte, um ihn wissen zu lassen, sie sei nahe. Sie bemerkte nicht, daß hinter dieser Mauer die Schießerei neu entbrannte, nachließ, aufhörte und wieder begann und daß von Zeit zu Zeit Gruppen alter Männer Verwundete zu den Kirchen trugen.
Irgendwann gaben ihr ein paar Frauen, unter denen sie Catarina, die Frau João Abades, erkannte, ein paar Hühnerknochen, an denen noch ein wenig Haut hing, und eine Tasse Wasser. Sie ging, das Geschenk mit dem Kurzsichtigen und dem Zwerg zu teilen, aber beide hatten ähnliche Rationen erhalten. Gemeinsam aßen und tranken sie, glücklich, fassungslos über diesen Götterschmaus. Denn das Essen war vor vielen Tagen zu Ende gegangen, und sie wußten, daß noch vorhandene Reste den Männern vorbehalten waren, die Tag und Nacht in denSchützengräben und auf den Türmen standen, die Hände verbrannt vom Pulver und die Finger schwielig vom ständigen Schießen.
Sie hatte nach der Pause die Arbeit wiederaufgenommen, als sie zum Turm des Tempels aufblickte und etwas sah, das ihren Blick festhielt. Unterhalb der Köpfe der Jagunços und der Gewehrläufe, die über die Schutzwälle auf dem Dach und den Gerüsten hinausragten, war eine gnomenhafte Gestalt, halb Kind, halb Erwachsener, in absurder Stellung auf dem Leiterchen zum Glockenstuhl hängengeblieben. Sie erkannte sie: es war der Glöckner, der kleine Alte, der die Kirchen betreute, der Schlüsselträger und Mesner, der Mann, von dem es hieß, er geißele den Beatinho. Jeden Abend war er pünktlich auf den Glockenturm gestiegen, um das Ave-Maria auszuläuten, das ganz Belo Monte, ob Krieg war oder nicht, auf dem Kirchplatz versammelte. Vermutlich war er am Abend zuvor getötet worden, vermutlich nach dem Glockenläuten, denn Jurema war sicher, es gehört zu haben. Eine Kugel mußte ihn getroffen haben, und er hatte sich in der kleinen Leiter verfangen, und niemand hatte Zeit gehabt, ihn auch nur abzunehmen. »Er war aus meinem Dorf«, sagte eine Frau, die neben ihr arbeitete, und wies auf den Turm. »Aus Chorrochó. Er war Schreiner, als ihn der Engel berührte.«
Sie arbeitete weiter, den ganzen Nachmittag, vergaß den Glöckner und sich selbst und ging nur von Zeit zu Zeit zu dem Kurzsichtigen. Als die Sonne unterging, sah sie die Brüder Vilanova zum Sanktuarium rennen und hörte, daß aus verschiedenen Richtungen auch Pajeú, João Grande und João Abade dorthin gelaufen waren. Es würde etwas geschehen.
Kurz danach sprach sie mit dem kurzsichtigen Journalisten, zu ihm hinuntergebeugt, als eine unsichtbare Kraft sie zwang, sich niederzuknien, zu verstummen, sich an den Freund zu lehnen. »Was ist los? Was ist los?« sagte dieser, sie an den Schultern fassend, sie abtastend. »Haben sie dich verletzt, bist du verwundet?« Eine Kugel hatte sie nicht getroffen. Nur waren alle Kräfte aus ihrem Körper verschwunden. Sie fühlte sich leer, unfähig, auch nur den Mund zu öffnen oder einen Finger zu heben, und obwohl sie dicht über dem ihren das Gesicht des Mannes sah, der sie das Glück gelehrt hatte, und sah, wie erseine tränenden Augen aufriß und blinzelte, um sie zu sehen, und wußte, daß er sich ängstigte, und fühlte, daß sie ihn beruhigen mußte, konnte sie es nicht. Alles war fern, fremd, unwahrscheinlich, und da stand der Zwerg und berührte und streichelte sie, rieb ihre Hände, ihre Stirn, strich ihr das Haar glatt, und es schien ihr, daß
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