Der Krieg am Ende der Welt
kurzsichtigen Journalisten und dem Zwerg.
Und einmal sah sie dabei einen Jagunço der Katholischen Wachmannschaft, der sich von ihnen verabschiedete. Was wollte er? Pater Joaquim habe sie rufen lassen. »Ich habe ihm gesagt, daß du nicht gehen kannst«, murmelte der Kurzsichtige. Einen Augenblick später tauchte der Pfarrer von Cumbe in der Dunkelheit auf. »Warum seid ihr nicht gekommen?« hörte sie ihn auf eine seltsame Weise sagen, und sie dachte: Pajeú.
»Jurema ist erschöpft«, hörte sie den kurzsichtigen Journalisten. »Sie ist mehrmals ohnmächtig geworden.«
»Dann wird sie zurückbleiben müssen«, erwiderte Pater Joaquim mit derselben merkwürdigen, nicht wütenden, eher gebrochenen, traurigen Stimme. »Kommt ihr zwei mit mir.«
»Zurückbleiben?« hörte sie den kurzsichtigen Journalisten murmeln und fühlte, wie er sich gespannt aufrichtete.
»Still«, befahl der Pfarrer. »War es nicht Ihr Wunsch, hier wegzukommen? Sie werden eine Gelegenheit bekommen. Aber kein Wort, kommen Sie.«
Pater Joaquim begann sich zu entfernen. Sie war die erste, die aufstand und damit das Gestammel des Journalisten, »Jurema kann nicht, ich, ich ...« abschnitt und ihm zuvorkam, indem sie zeigte, daß sie doch konnte, daß sie stand und hinter dem Schatten des Pfarrers herging. Sekunden später lief sie, an der Hand des Kurzsichtigen und des Zwergs, zwischen den Ruinen und den Toten und Schwerverletzten der Kirche Santo Antônio und konnte immer noch nicht glauben, was sie gehört hatte. Durch ein Labyrinth von Laufgräben und Schutzwällen gelangten sie zum Sanktuarium. Eine Tür ging auf, und im Schein einer kleinen Lampe sah sie Pajeú. Sie hatte wohl seinen Namen ausgesprochen und damit den kurzsichtigen Journalisten in Schrecken versetzt, denn der begann auf der Stelle zu niesen, daß es ihn nur so riß. Aber nicht wegen des ehemaligen Cangaceiro hatte Pater Joaquim sie rufen lassen, denn Pajeú schenkte ihnen keine Beachtung. Er sah sie nicht einmal an. Sie standen in dem kleinen Raum der frommen Frauen, demVorzimmer des Ratgebers, und durch die Ritzen sah Jurema den Heiligen Chor und Mutter Maria Quadrado knien und erkannte auch das Profil des Beatinho und des Löwen von Natuba. In dem kleinen Raum waren außer Pajeú Antônio und Honório Vilanova und die Sardelinhas, und wie in Pater Joaquims Stimme lag in aller Gesichter etwas Ungewohntes, Unwiderrufliches, Verhängnisvolles, Verzweifeltes und Wildes. Als wären sie nicht hereingekommen, sprach Pajeú weiter mit Antônio Vilanova: er werde Schüsse hören, Aufruhr, Handgemenge, aber sie dürften sich nicht von der Stelle rühren. So lange nicht, bis die Pfeifen ertönten. Dann, ja, dann galt es zu rennen, zu fliegen, abzuschnüren wie Füchse. Pajeú machte eine Pause, und Antônio nickte mit Grabesmiene. Wieder sprach der ehemalige Cangaceiro: »Um nichts in der Welt dürft ihr aufhören zu rennen. Nicht, um den aufzuheben, der gefallen ist, auch nicht um umzukehren. Davon und vom Vater hängt es ab. Wenn ihr den Fluß erreicht, ehe sie es merken, kommt ihr hinüber. Wenigstens eine Chance habt ihr.«
»Aber du hast keine herauszukommen, weder du noch sonst einer von denen, die mit dir ins Lager der Hunde gehen werden«, jammerte Antônio Vilanova. Er weinte. Er nahm Pajeú an den Armen und bat: »Ich will nicht hinaus aus Belo Monte, erst recht nicht, wenn du dich dafür opfern mußt. Du bist hier nötiger als ich. Pajeú, Pajeú!«
Mit einer Art Unwillen löste sich dieser aus seinen Händen.
»Es muß vor Tagesanbruch sein«, sagte er trocken. »Danach geht es nicht mehr.«
Er wandte sich an Jurema, den Kurzsichtigen und den Zwerg, die wie versteinert dastanden.
»Auch Sie werden gehen, denn so will es der Ratgeber«, sagte er, als spräche er durch die drei hindurch zu jemand, den sie nicht sehen konnten. »Zuerst gebückt, hintereinander, bis Fazenda Velha. Und dort, wo die ›Kleinen‹ es sagen werden, warten Sie auf die Pfeifen. Sie durchqueren das Lager, Sie laufen zum Fluß. Wenn es der Vater erlaubt, werden Sie hinüberkommen.«
Er schwieg und beobachtete den Kurzsichtigen, der an Jurema hing und wie Espenlaub zitterte.
»Niesen sie jetzt«, sagte er zu ihm, ohne den Ton zu verändern.»Nicht nachher. Nicht, solange Sie auf die Pfeifen warten. Wenn Sie dort niesen, bekommen Sie ein Jagdmesser in die Brust. Es wäre nicht gerecht, wenn alle gefaßt würden, nur weil Sie niesen. Gelobt sei der gute Jesus Ratgeber.«
Als er sie hört,
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