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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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hindurch". Hitlers Rechnung oder Hoffnung geht also auch in diesem Punkt nicht auf. Dennoch ist ihm sein Fernziel eines Ausgleichs und eines Freundschaftspakts mit Großbritannien nun wichtiger als das Nahziel Danzig. Er geht auf Chamberlains schwierige Konditionen ein.

    Hitler antwortet mit einer Note, in der er als erstes die Bedingungen aus London akzeptiert. 328
    Dann wiederholt er noch einmal die Klage gegen die Drangsalierung der Volksdeutschen in Polen und erklärt, daß dieser Zustand nicht weitere Wochen oder auch nur Tage hingenommen werden kann. Hitler fordert in diesem Schreiben die Revision des Versailler Vertrages, soweit er Danzig und den Korridor betrifft und sichert den Fortbestand des Staates Polen unter der Fünf-Mächte-Garantie ansonsten zu. Soweit folgt Hitler den Vorgaben der britischen Regierung. Erst zum Schluß des Briefes baut er eine Hürde auf, über die nun die Briten und die Polen gehen müssen. Er beendet seinen Brief mit der Erwartung, daß die deutsch-polnischen Verhandlungen nun wirklich binnen 29 Stunden aufgenommen werden:
    „Die Deutsche Reichsregierung ist unter diesen Umständen damit einver
    standen, die vorgeschlagene Vermittlung der Königlich Britischen Regie
    rung zur Entsendung einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen
    Persönlichkeit nach Berlin anzunehmen. Sie rechnet mit dem Eintreffen
    329 dieser Persönlichkeit für Mittwoch, dem 30. August 1939."
    Das heißt: Verhandlungsbeginn spätestens am Tag danach um 24 Uhr, ohne ein weiteres englisch-polnisches Spiel auf Zeit. Hitler schwankt jetzt offensichtlich zwischen der Hoffnung auf die Vermittlungskünste der Londoner Regierung und der Erwartung, daß die Warschauer Regierung sich nicht bewegen wird.

    Der deutsche Kanzler steht in vieler Hinsicht mit dem Rücken an der Wand. Er will so schnell wie möglich von den Briten Taten sehen oder herausfinden, ob er hingehalten wird. Er kann die Mobilmachung und den Aufmarsch der Wehrmacht nicht mehr lange in der Schwebe halten. Entweder müssen die Streitkräfte in absehbarer Zeit zurückgezogen werden oder spätestens am 2. September in Polen einmarschieren. Außerdem will Hitler sich von der polnischen und der

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    AA 1939 Nr. 2, Dokument 464 und ADAP, Serie D, Band VII, Dokument 421 329
    AA 1939 Nr. 2, Dokument 464 und ADAP, Serie D, Band VII, Dokument 421
    französischen Presse nicht wieder „weiche Knie" wie vor drei Wochen attestieren lassen. So muß er den Haltbefehl für die aufmarschierte Wehrmacht bald mit einem Verhandlungserfolg aufwiegen. Und in dieser Situation wohl ganz entscheidend: er kann die drangsalierte deutsche Minderheit in Polen nicht lange weiter ohne Hilfe lassen.

    Um 19 Uhr übergibt Hitler seine Antwort an Botschafter Henderson, der sie sofort lesend überfliegt. Henderson ist zunächst erleichtert festzustellen, daß Hitler alle englischen Bedingungen akzeptiert. Die Erleichterung wechselt zur Bestürzung, als er den Schluß des Briefes liest. Henderson macht aus dem Entsetzen über die so kurz gesteckte Frist nicht den geringsten Hehl: 330
    „ Sie geben dem polnischen Unterhändler 24 Stunden Zeit, um nach Berlin
    zu kommen. Die Frist ist viel zu kurz. Warum eine solche Übereilung? Das
    klingt wie ein Ultimatum. "
    „Aber keineswegs", entgegnet Hitler. „Dieser Satz unterstreicht nur die
    Dringlichkeit des Augenblicks. Bedenken Sie, daß es jederzeit zu einem
    schweren Zwischenfall kommen kann, wenn sich zwei mobilisierte Armeen
    gegenüberliegen."
    Henderson beharrt auf seiner Ansicht:
    „Die Frist ist unzureichend. "
    „Nein", so Hitler. „Es ist jetzt eine Woche, daß wir immer dasselbe wie
    derholen. Wir tauschen unablässig Noten und Antworten aus. Dieses un
    sinnige Spiel kann nicht ewig weitergehen. ... Denken Sie an die Gewehre,
    die jeden Augenblick von allein losgehen können. Denken Sie daran, daß
    mein Volk Tag um Tag blutet."
    Die Unterredung zwischen beiden Männern ist erregt und zum Schluß unfreundlich heftig. Als Henderson sieht, daß er Hitler nicht zu einer Terminverschiebung bewegen kann, fragt er zum Schluß der Notenübergabe, ob ein polnischer Unterhändler, der nach Berlin käme, freundlich empfangen würde und ob die Verhandlungen auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung geführt würden. Hitler sichert beides zu. Er stellt außerdem in Aussicht, ein neues Angebot für Polen vorzubereiten.

    Nach dem Besuch bei Hitler bittet Henderson sofort den polnischen Kollegen Lipski zu sich in die

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