Der Krieg der Welten
Ufer gefeilscht wurde. Diese Bootmassen erstreckten sich auch das Blackwater hinauf beinahe bis Maldon.
Ungefähr zwei Meilen draußen lag ein Panzerschiff so tief im Wasser, daß es den Augen meines Bruders fast wie ein halbversenktes Schiff schien. Das war das Rammboot "Thunder Child". Es war das einzige Kriegsschiff in Sicht; aber in weiter Ferne lag auf dem glatten Spiegel der See - an jenem Tage herrschte Totenstille - eine Schlange schwarzen Rauches, welche die nächsten Panzerschiffe der Kanalflotte anzeigte, die in einer weit gezogenen Linie auf- und abkreuzten; sie fuhren während des Einfalles der Marsleute mit vollem Dampf und klar zum Gefecht längs der Themsemündung, kampfbereit und doch machtlos.
Beim Anblick des Meeres wurde Mrs. Elphinstone trotz guter Zureden von heillosem Schrecken überwältigt. Sie war noch nie aus England hinausgekommen und erklärte, lieber sterben zu wollen, als sich ohne Freunde einem fremden Land anzuvertrauen, und so fort. Die Armite schien sich die Franzosen und die Marsleute sehr ähnlich vorzustellen. Sie war während der zwei Reisetage immer hysterischer, erschreckter und niedergeschlagener geworden. Ihre fixe Idee war, nach Stanmore zurückzukehren. In Stanmore sei immer alles gut und sicher verlaufen. In Stanmore würden sie George wiederfinden...
Nur mit den größten Schwierigkeiten gelang es ihnen, sie zum Ufer hinabzubringen, wo es meinem Bruder glückte, die Aufmerksamkeit einiger Leute auf einem Raddampfer, der aus der Themse fuhr, auf sich zu lenken. Der Dampfer schickte ein Boot, und bald wurde man handelseins: sechsunddreißig Pfund für alle drei. Das Schiff ging, wie die Leute ihnen mitteilten, nach Ostende. Es war etwa zwei Uhr geworden, als mein Bruder das Fahrgeld bezahlt hatte und sich mit seinen Schützlingen sicher an Bord des Dampfers befand. Im Schiff gab es Eßwaren genug, wenn auch zu ganz abenteuerlichen Preisen. Und so gelang es den drei Personen auf den Vordersitzen eine Mahlzeit einzunehmen.
Es waren bereits etwa vierzig Personen an Bord, von denen einige ihren letzten Groschen weggegeben hatten, um sich die Überfahrt zu sichern. Aber der Kapitän blieb Beim Blackwater bis fünf Uhr nachmittags stehen und nahm unausgesetzt Passagiere auf, bis das Verdeck beängstigend voll war. Er hätte wohl noch länger gezögert, hätte man nicht um jene Stunde vom Süden her Geschützfeuer vernommen. Gleichsam zur Antwort feuerte das seewärts liegende Panzerschiff ein kleines Geschütz ab und hißte seine Flagge. Ein Rauchstrahl schoß aus seinem Schornstein. Einige Reisende waren der Meinung, daß der Geschützlärm aus der Gegend von Shoeburyness komme, bis man bemerkte, daß er immer stärker wurde. Gleichzeitig tauchten südöstlich in weiter Ferne die Masten und das Takelwerk dreier Panzerschiffe, eines nach dem andern, aus dem Meere auf, unter Wolken schwarzen Qualmes. Aber die Aufmerksamkeit meines Bruders kehrte rasch wieder zu dem fernen Geschützfeuer im Süden zurück. Er glaubte eine Rauchsäule aus den fernen grauen Nebelschleiern aufsteigen zu sehen.
Der kleine Dampfer nahm aus der großen Halbmondlinie von Schiffen heraus schon klappernd seinen Weg ostwärts. Die flache Küste von Essex schien schon blau und neblig, als plötzlich, winzig und undeutlich in der großen Entfernung, ein Marsmann auftauchte, der die lehmige Küste entlang aus der Richtung von Foulness herankam. Bei diesem Anblick fluchte der Kapitän auf der Schiffsbrücke so laut er konnte vor Angst und Zorn über seine eigene Saumseligkeit, und die Räder schienen von seinem Schrecken angesteckt zu werden. An Bord des Schiffes stand jetzt jeder am Geländer oder auf den Stühlen und starrte nach jener fernen Erscheinung, die, jetzt schon höher als die Bäume und die Kirchtürme landeinwärts, immer näher kam und den menschlichen Gang gleichsam lässig parodierte.
Es war der erste Marsmann, den mein Bruder sah, und so stand er mehr erstaunt als erschreckt da und beobachtete den Titan, wie er entschlossen den Fahrzeugen näher rückte, immer weiter, und wie die Küste zurückwich, ins Wasser watete. Jetzt tauchte jenseits des Dünenkamms in weiter Ferne ein zweiter Marsmann auf, der über die verkümmerten Bäume hinwegfuhr; und noch weiter zurück zeigte sich ein dritter, der tief durch eine glitzernde Sumpffläche watete, die halb zwischen Himmel und Erde zu hängen schien. Sie alle stapften auf das Meer zu, als ob sie die Flucht jener Menge von Fahrzeugen verhindern
Weitere Kostenlose Bücher