Der Krieg der Welten
Anbruch des Tages erwartet hatten. Niemand hatte seither das Fenster geschlossen. Das zertretene Gebüsch war noch genauso, wie ich es vor fast vier Wochen verlassen hatte. Ich stolperte in den Flur, und die Leere des Hauses bedrückte mich. Der Treppenläufer war überall verschoben und verfärbt, wo ich in jener Nacht des Schreckens, bis auf die Haut durchnäßt, vor dem Gewitter flüchtend, gekauert hatte. Ich verfolgte die lehmigen Fußtritte die ganze Stiege hinauf.
Ich folgte ihnen bis zu meinem Arbeitszimmer und fand auf meinem Schreibtisch unter dem selenitenen Briefbeschwerer noch einen Bogen der Arbeit, die ich am Nachmittag, da sich der erste Zylinder geöffnet hatte, liegengelassen hatte.
Eine Zeitlang stand ich da und las in dieser im Stich gelassenen Arbeit. Sie bestand in einer Abhandlung über die wahrscheinliche Übereinstimmung der Entwicklung sittlicher Vorstellungen mit der Entwicklung der Zivilisation; der letzte Satz war der Anfang einer Prophezeiung: "In zweihundert Jahren etwa", hatte ich geschrieben, "dürften wir erwarten - -" Der Satz brach plötzlich ab. Ich erinnerte mich meiner Unfähigkeit, an jenem Morgen, seit dem kaum ein Monat verstrichen war, meine Gedanken zusammenzuhalten; erinnerte mich, wie ich plötzlich abgebrochen hatte, um mir mein "Daily Chronicle" von dem Zeitungsjungen zu holen. Ich erinnerte mich, wie ich zur Gartentür hinabging, als der Junge herankam, und wie ich seinen sonderbaren Bericht von den "Männern vom Mars" anhörte.
Ich ging wieder hinab und trat ins Speisezimmer. Dort lagen der Hammelbraten und das Brot, beides nun längst verdorben, und eine umgeworfene Bierflasche, gerade so, wie ich und der Artillerist das alles verlassen hatten. Mein Heim war verödet. Ich begriff nun, wie unsinnig die leise Hoffnung war, die ich so lange gehegt hatte. Und jetzt geschah etwas Seltsames. "Es ist umsonst", hörte ich eine Stimme sagen. " Das Haus ist verlassen. In den letzten zehn Tagen ist niemand hier gewesen. Du sollst nicht länger hierbleiben und dich quälen. Niemand ist entkommen als du." Ich fuhr zurück. Hatte ich meine Gedanken laut gesprochen? Ich kehrte mich um und sah, daß die Glastüre offen stand. Ich trat einen Schritt vor und blickte hinaus.
Und da standen, erstaunt und erschreckt, so wie ich erstaunt und erschreckt dastand, mein Vetter und meine Frau - meine Frau, bleich und tränenlos. Sie stieß einen schwachen Schrei aus.
"Ich kam", sagte sie. "Ich wußte es - ich wußte -"
Sie griff mit der Hand nach ihrem Hals und schwankte. Ich trat einen Schritt vor und fing sie in meinen Armen auf.
Schlußwort
Nun, da ich meinen Bericht abschließe, kann ich es nur bedauern, daß ich so wenig fähig bin, zur Erörterung der vielen strittigen, bis heute ungelösten Fragen beizutragen. In einer Beziehung werde ich ohne Zweifel Widerspruch hervorrufen. Mein eigentliches Wissensgebiet ist spekulative Philosophie. Meine Kenntnisse in vergleichender Physiologie beschränken sich nur auf ein paar Bücher; aber ich glaube, daß die Vermutungen Carvers in bezug auf die Ursache des jähen Todes der Marsleute so wahrscheinlich sind, daß sie beinahe den Wert erwiesener Schlußfolgerungen besitzen. Ich habe von ihnen bereits im Lauf meines Berichtes gesprochen. Das eine wenigstens steht fest, daß in keinem einzigen Körper der Marsleute, die nach dem Krieg untersucht wurden, andere Bakterien gefunden wurden als diejenigen, deren irdische Herkunft zweifellos war. Die Tatsache, daß sie nicht einen ihrer Toten beerdigten, und die rücksichtslosen Schlächtereien, die sie veranstalteten, deuten gleichfalls darauf hin, daß der Vorgang der Fäulnis ihnen vollständig unbekannt war.. Aber so wahrscheinlich sie sind, erwiesene Tatsachen sind diese Annahmen noch nicht.
Ebensowenig ist die Zusammensetzung des schwarzen Rauches bekannt, dessen sich die Marsleute mit so furchtbarer Wirkung bedienten, und der Hitzestrahlgenerator bleibt ein Rätsel. Die entsetzlichen Unglücksfälle in den Laboratorien von Ealing und South Kensington haben die Chemiker vor genaueren Untersuchungen des Hitzestrahls abgeschreckt. Die Spektralanalyse des schwarzen Pulvers deutet unverkennbar auf ein unbekanntes Element mit einer leuchtenden Gruppe dreier Linien in Grün hin; und es ist möglich, daß es sich mit Argon verbindet, um ein Gemenge zu bilden, das auf irgendeinen Bestandteil des Blutes eine unbedingt tödliche Wirkung ausübt. Aber diese unerwiesenen Mutmaßungen werden
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