Der Krieg der Welten
sehen wir weiter. Wenn die Marsleute auf die Venus gelangen können, so ist jeder Grund für die Annahme, daß das den Menschen unmöglich sei, hinfällig. Und wenn die langsame Abkühlung der Sonne unsere Erde unbewohnbar gemacht haben wird, wie es schließlich nicht ausbleiben wird, dann mag es kommen, daß der Faden des Lebens, der hier seinen Ausgang nahm, sich ausdehnen und unsern Schwesterplaneten in sein Netz ziehen wird. Würden wir siegen?
Schattenhaft und wunderbar ist das Traumgesicht, das ich im Geiste heraufbeschworen habe: wie das Leben sich allmählich über unser kleines Samenbeet des Sonnensystems hinausdehnen wird, hinaus in die unbelebte Unermeßlichkeit des gestirnten Raumes. Aber das ist ein ferner Traum. Und wer kann wissen, ob die Vernichtung der Marsleute nicht nur einen kurzen Aufschub unseres endlichen Untergangs bedeutet? Vielleicht gehört ihnen und nicht uns die Zukunft. Ich muß gestehen, daß die Aufregung und die Not der Zeit in meiner Seele ein bleibendes Gefühl des Zweifels und der Unsicherheit zurückgelassen haben. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und schreibe beim Schein der Lampe. Und plötzlich sehe ich das wieder auflebende Tal unten wieder von züngelnden Flammen erfüllt und fühle das Haus hinter mir und um mich leer und verödet. Ich gehe hinaus in die Byfleet Road, Fahrzeuge eilen an mir vorüber, ein Fleischerjunge in seinem Karren, ein Wagen voll Besucher, ein Arbeiter auf seinem Fahrrad, Kinder, die zur Schule gehen; und plötzlich wird alles verschwommen und unwirklich, und wieder keuche ich mit dem Artilleristen durch die heiße, brütende Stille. Und nachts sehe ich das schwarze Pulver, wie es die schweigenden Straßen verdunkelt, und sehe die verzerrten Leichen im Staub liegen; sie steigen vor mir auf, zerlumpt und von Hunden zerfleischt. Sie lallen und drohen mir, werden blasser, abscheulicher, endlich wahnwitzige Spottgeburten menschlicher Gebilde - und ich erwache in kalten Schweiß gebadet und elend in der Dunkelheit der Nacht.
Ich gehe nach London und sehe die geschäftigen Volksmengen in der Fleet Street und am Strand, und nun lastet es mir auf der Seele, daß sie alle nur Gespenster der Vergangenheit seien, die in den Straßen spuken, die ich schweigend und jammervoll gesehen habe. Daß sie hin- und hergehen, Scheingebilde einer toten Stadt, in einem künstlich belebten Körper, ein Hohn auf das Leben. Und seltsam ist es, auf dem Primrose Hill zu stehen, wie ich es erst gestern tat, diese riesige Menge von Häusern trüb und blau durch den Schleier von Rauch und Nebel zu erblicken, der endlich in weite Fernen verschwindet; alle die Leute zu sehen, die zwischen den Blumenbeeten des Hügels auf- und niederwandeln; die Menschen zu sehen, die gekommen sind, sich die Marsmaschine anzuschauen, die noch immer hier steht; den Lärm der spielenden Kinder zu hören - und dann sich die Zeit wieder ins Gedächtnis zu rufen, da ich das alles hell und scharfgeschnitten, grausam und still in der Dämmerung jenes letzten, großen Tages gesehen habe.
Und seltsamer als alles ist es mir, wieder die Hand meiner Frau zu halten und zu denken, daß ich sie, wie sie mich, schon zu den Toten gerechnet habe.
Nachwort: Der Krieg der Welten von H.G. Wells und seine Folgen
Ungeheuer vom Planeten Mars greifen die Erde an! Sie sind uns Menschen überlegen, "ungeheure, kalte und unheimliche Geister", sie beobachten unsere blühende Erde "mit neidischen Augen"; die "grauenvolle Häßlichkeit" ihrer Erscheinung erfüllt die Menschen "mit Abscheu und Grauen". Die Zerstörungswut der Marsianer ist „wahllos und allumfassend", unter den Menschen verbreitet sich "eine brüllende Woge der Angst", und eins ist klar: diese Ereignisse bedeuten den "Anfang vom Ende der Zivilisation". Die Marsianer, die sich zudem noch von menschlichem Blut ernähren, gehen zwar schließlich an irdischen Bakterien zugrunde, weil der marsianische Organismus keine Widerstandskräfte gegen sie bilden kann, man sollte jedoch mit der "Möglichkeit eines zweiten Angriffs" rechnen, und: "Auf alle Fälle sollten wir vorbereitet sein".
So steht es in Herbert George Wells Roman "Der Krieg der Welten", der 1898, vor nunmehr 100 Jahren in Buchform erschien. Seit seinem Erscheinen ist nicht nur dieser Roman so rezipiert worden, sondern er hat auch Hunderte von Nachfolgern und Nachahmern gefunden. Das Schema ist einfach: Außerirdische Wesen, Fremdlinge also ("Aliens"), fast immer von grauenvoller äußerer
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