Der Krieg der Welten
wir sollten uns, denke ich, zugleich erinnern, wie widerwärtig unsere fleischfressenden Gewohnheiten einem vernunftbegabten Kaninchen erscheinen würden."
Als schließlich "unsere mikroskopischen Verbündeten", die Bakterien und Viren, den Marsianern den Garaus machen - der Erzähler verhehlt auch hier sein Mitleid angesichts dieses grauenvollen Dahinsiechens nicht -, ist dies Anlaß einer geradezu appellhaften Bemerkung: wenn es eine Lehre aus der glücklich überstandenen Marsinvasion gebe, dann diese, gegenüber den dem Menschen und seiner Herrschaft ausgelieferten Tieren Barmherzigkeit walten zu lassen, auf daß es nicht uns dereinst, als Ungeziefer unter dem Tritt einer anderen "Herrenrasse", ebenso ergehe wie jenen. Selbst die äußere Erscheinung der Marsianer und ihr Verhalten ist nicht Horror an sich, sondern Parabel: "Sie waren Köpfe, nichts als Köpfe" heißt es da, ihre menschenverachtende Kälte und auch ihr schließlicher Untergang werden als logische Konsequenz der Unterdrückung der animalischen und emotionalen Seite des Menschseins durch einen sich verselbständigten Geist gesehen. Zwar hält Wells auch eine rein physikalische Begründung für die Aggression der Marsianer bereit - alles ist bei ihm logisch begründet, im Gegensatz zu den meisten seiner Nachahmer-, aber auch dies ist Baustein einer eher weltanschaulich motivierten Plausibilität: die Menschen sind nicht a priori böse, sie werden durch die Umstände dazu gemacht, in diesem Fall den Umstand der fortschreitenden Erkaltung des Heimatplaneten. Den Menschen wird dieses Schicksal dereinst auch blühen; wie werden sie sich verhalten? Das Aufwerfen dieser Frage durch Wells ist Warnung genug. Kein Horror-, sondern ein antiutopischer Warnungsroman also?
Die Rezeptionen des Romanstoffes scheinen dagegen zu sprechen. Das betrifft schon die Story als Ganzes. 1897 zuerst in Fortsetzungen publiziert, erscheint "Der Krieg der Welten" 1898 in Buchform. Bereits im gleichen Jahr bringen zwei amerikanische Zeitungen eine blutrünstig zurechtgestutzte und von London nach Amerika verlegte Version des Romans wiederum in Fortsetzungen. 1902 erschien der Roman erstmals (in Wien) in deutscher Sprache; er wurde auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt. Auch in mehreren Comics wurden die Geschehnisse in optisch aufreizender Art dargestellt, z.B. 1955 in der Reihe "Illustrierte Klassiker" (in deutscher Sprache erschienen als Sammlerausgabe beim Norbert Hethke-Verlag). Eine der bekanntesten Adaptionen des Kriegs der Welten erfolgte am 30. Oktober 1938 in der amerikanischen Radiostation CBS, als die inzwischen berühmte Funkfassung von Howard Koch in der Regie des damals 23jährigen Orson Welles, die als Hörspiel angekündigt, aber wie ein Tatsachenbericht mit lnterviews und anderen ,,O-Tönen" aufgezogen wurde und eine Massenhystene verursacht haben soll. Die Landung der Marsianer war in dieser Hörspielfassung nach New Jersey verlegt worden. Seinerzeit soll es in New York zu tumultartigen Szenen gekommen sein; Kinos brachen ihre Vorstellung ab, Tausende riefen die Polizei, die Zeitungen und die Rundfunkstationen an. Mit Lautsprecherwagen hätten die Polizeibehörden versucht, die Panik zu unterbinden. Diese Hysterie beruhte, wir auch damals schon Leitartikler feststellten, auf der Atmosphäre des in Europa befürchteten Kriegsausbruches, nur hierdurch war es möglich geworden, daß Abertausende unter Ausschaltung aller Rationalität an eine phantastische Bedrohung glaubten und dementsprechend reagierten.
Spätere Untersuchungen dieser Vorfälle haben diese jedoch etwas relativiert: die angebliche Massenhysterie war selbst wiederum eine vom Massenmedium Rundfunk produzierte Show, die sich gleichsam aus der eigenen Fiktion heraus gebar und dann zu einer begrenzten Wirklichkeit wurde. Im Jahre 1976 erschien ein Fernsehfilm über das Hörspiel und seine (angeblichen oder tatsächlichen) Wirkungen, der unter dem Titel "Die Nacht, als die Marsmenschen Amerika angriffen" auch über die deutschen Fernsehschirme flimmerte. Auch Woody Allen adaptierte 1987 das Hörspiel von Orson Welles, als er zwei der Akteure seines Spielfilms "Radio Days" im Nebel in der Nähe von New Jersey infolge eines leeren Benzintanks stranden läßt und der Verführungsversuch seitens eines Vorstadtcasanovas durch die am Radio mitgehörte "Marsinvasion" kläglich scheitert, da sich der Verführer in Panik in den Nebel stürzt. Die Sitzengelassene läßt dem Anrufer Tage später
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