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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Menschen einen großen Menschen macht. Wo der Mensch wächst. Dann ist er für mich kein stummes und spurloses Proletariat der Geschichte mehr. Dann löst sich seine Seele ... Worin also besteht mein Konflikt mit der Macht? Ich habe begriffen – die große Idee braucht den kleinen Menschen, sie braucht ihn nicht, wenn er groß ist. Dann ist er überflüssig und unbequem. Zu schwer zu bearbeiten. Ich aber suche nach ihm ... Ich suche nach dem großen kleinen Menschen. Erniedrigt, niedergetrampelt, beleidigt, durch stalinsche Lager und Verrat gegangen, hat er dennoch gesiegt. Ein Wunder vollbracht.
    Niemand kann ihm diesen Sieg nehmen ...
    ***
Siebzehn Jahre später
2002–2004
    Ich lese meine alten Aufzeichnungen. Versuche mich an den Menschen zu erinnern, der ich damals war, als ich an diesem Buch schrieb. Diesen Menschen gibt es nicht mehr, selbst das Land, in dem wir damals lebten, gibt es nicht mehr. Das Land, das damals, 1941 bis 1945, verteidigt und in dessen Namen gestorben wurde. Inzwischen ist alles anders: Ein neues Jahrtausend, neue Kriege, neue Ideen, neue Waffen und ein veränderter russischer (genauer: russisch-sowjetischer) Mensch.
    Gorbatschows Perestroika ... Mein Buch wurde gedruckt, es hatte eine erstaunliche Auflage – zwei Millionen Exemplare. Das war die Zeit, da viele erschütternde Dinge geschahen, da wir wieder einmal zu einem großen Sprung ansetzten. Wieder einmal – in die Zukunft. Wir wussten noch nicht (oder hatten vergessen), dass eine Revolution immer eine Illusion ist, besonders in unserer Geschichte. Aber das würden wir erst später sehen, damals waren alle berauscht von der Luft der Freiheit. Ich bekam Dutzende Briefe, meine Mappen schwollen an. Die Menschen wollten reden ... Ausreden ...
    Ich hatte keinen Zweifel, dass ich dazu verurteilt bin, meine Bücher fortzuschreiben. Nicht umzuschreiben, sondern fortzuschreiben.
    Kaum habe ich einen Punkt gesetzt, wird er sofort zu drei Punkten ...
    ***
    Ich denke, heute würde ich wahrscheinlich andere Fragen stellen und andere Antworten zu hören bekommen. Und ich würde ein anderes Buch schreiben, nicht völlig anders, aber doch anders. Worüber würde ich jetzt schreiben? Was würde ich ergänzen wollen? Was mich sehr interessieren würde, wäre ... ich suche nach dem richtigen Wort ... der biologische Mensch, nicht nur der Mensch der Zeit und der Ideen. Ich würde versuchen, tiefer in die menschliche Natur zu blicken, in das Dunkel, ins Unterbewusstsein. In das Geheimnis des Krieges.
    Ich würde darüber schreiben, wie ich zu einer ehemaligen Partisanin kam ... Eine korpulente, aber noch schöne Frau – sie erzählte mir, wie ihre Gruppe (sie als Älteste und zwei Jugendliche) auf einem Aufklärungsgang zufällig vier Deutsche gefangen nahmen. Aber am Abend des dritten Tages wurden sie umzingelt. Klar, dass sie mit den Gefangenen nicht würden durchbrechen können, also traf sie eine Entscheidung: die Gefangenen zu opfern. Die Jugendlichen würden sie nicht töten können, sie waren schon mehrere Tage zusammen unterwegs gewesen, und wenn man so lange mit einem Menschen zusammen ist, selbst mit einem Fremden, gewöhnt man sich an ihn, wird er einem nahe – du weißt, wie er isst, wie er schläft, kennst seine Augen, seine Hände. Nein, die Jugendlichen würden es nicht können. Das war ihr sofort klar. Also musste sie sie töten. Und nun erinnerte sie sich, wie sie das tat. Sie musste die einen wie die anderen hintergehen. Mit einem Deutschen ging sie angeblich Wasser holen und erschoss ihn von hinten. In den Kopf. Mit einem anderen ging sie Reisig holen ... Ich war erschüttert, wie ruhig sie davon erzählte.
    Wer im Krieg war, erzählt, dass der Zivilmensch in drei Tagen zum Kriegsmenschen wird. Warum genügen drei Tage? Oder ist das auch ein Mythos? Wahrscheinlich. Der Mensch im Krieg ist viel unbekannter und unbegreiflicher.
    In allen Briefen las ich: »Ich habe Ihnen damals nicht alles erzählt, denn das war eine andere Zeit. Wir waren gewohnt, über vieles zu schweigen ...« »Ich habe Ihnen nicht alles anvertraut. Noch vor kurzem durfte man darüber nicht sprechen. Oder hat sich geschämt.« »Ich kenne das Urteil der Ärzte – eine schlimme Diagnose ... Ich will die ganze Wahrheit erzählen ...«
    Und vor kurzem kam dieser Brief: »Wir Alten haben es schwer ... Aber nicht wegen der kleinen und erniedrigenden Rente leiden wir. Am meisten verletzt es uns, dass wir aus der großen Vergangenheit in eine unerträglich kleine

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