Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
einen Ort, Kinder liefen herum – hungrig, unglücklich. Und ich, die ich geschworen hatte, dass ich sie alle hasse, sammelte bei meinen Jungs, was jeder geben konnte, was er von der Verpflegung erübrigen konnte, jedes Stückchen Zucker, und gab es den deutschen Kindern. Natürlich hatte ich nichts vergessen, ich erinnerte mich an alles, aber ich konnte nicht ungerührt in hungrige Kinderaugen blicken.
Am frühen Morgen standen die deutschen Kinder bereits Schlange vor unseren Küchen, es gab Suppe und etwas Festes. Jedes Kind trug über der Schulter eine Tasche für das Brot und am Gürtel einen Thermosbehälter für die Suppe und irgendwas für die Grütze, die Erbsen ... Für die Bevölkerung empfanden wir keinen Hass. Wie gesagt: Wir gaben den Kindern zu essen, versorgten sie medizinisch. Wir haben sie sogar gestreichelt ...«
Sofja Adamowna Kunzewitsch , Sanitätsinstrukteurin
»Ich kam bis nach Deutschland ...
Ich war Oberfeldscherin in einem Panzerregiment. Wir hatten T34 , die gerieten schnell in Brand. Sehr schlimm. Zuvor hatte ich noch nie einen Schuss gehört, nicht einmal aus einem Jagdgewehr. Als wir an die Front fuhren, gab es irgendwo weit weg einen Bombenangriff, da schien mir, dass die ganze Erde bebt. Ich war siebzehn, hatte gerade die Fachschule abgeschlossen. Und dann geriet ich sofort in ein Gefecht.
Ich klettere aus dem Panzer ... Feuer ... Der Himmel brennt ... Die Erde brennt ... Eisen brennt ... Hier liegen Tote, aber dort schreit jemand: ›Hilfe!‹, ›Hilfe!‹ Da überkam mich eine solche Angst! Ich weiß gar nicht, wieso ich nicht weggerannt bin. Weg vom Schlachtfeld. So etwas ist so schlimm, dafür gibt es gar keine Worte, nur Gefühle. Früher konnte ich mir keine Kriegsfilme anschauen, jetzt tue ich das manchmal, aber ich muss immer weinen.
Ich kam nach Deutschland ... Ich erinnere mich an alles ... Das Erste, was ich auf deutschem Boden sah, war ein selbst gemaltes Plakat direkt am Wegrand: ›Hier ist das verfluchte Deutschland!‹
Wir kamen in ein Dorf, da war nur noch eine alte Frau. Sie hatten alles stehen und liegen gelassen und waren abgehauen ... Man hatte ihnen eingeredet: Wenn die Russen kommen, dann bringen sie euch um, stechen euch ab, hacken euch in Stücke ...
Ich sagte zu ihr, zu der alten Frau: ›Wir haben gesiegt.‹
Sie fing an zu weinen.
›Ich habe zwei Söhne in Russland verloren.‹
›Und wer ist daran schuld? Wie viele haben wir verloren!‹
Sie sagte: ›Hitler ...‹
›Das war nicht Hitler allein. Das waren doch eure Kinder, eure Männer ...‹
Da schwieg sie. Meine Mutter ist im Krieg verhungert, sie hatten kein Salz, rein gar nichts. Und mein Bruder lag schwer verwundet im Lazarett. Zu Hause wartete nur meine Schwester auf mich. Sie schrieb, als unsere Truppen in Orjol einmarschierten, habe sie jedes Mädchen in Uniform angehalten. Sie dachte, ich wäre bestimmt dabei. Aus unserer Familie sind nur noch Frauen übrig ...«
Nina Petrowna Sakowa , Leutnant, Feldscherin
»Die Straßen des Sieges ...
Das können Sie sich nicht vorstellen, die Straßen des Sieges! Da liefen Polen, Franzosen, Tschechen, Bulgaren ... Alles befreite Häftlinge, mit Handwagen, Bündeln und Nationalflaggen ... Alle durcheinander, alle auf dem Weg nach Hause. Alle umarmten uns ...
»Wir trafen auf russische Mädchen. Ich sprach sie an, und sie erzählten ... Unterwegs merkte eine von ihnen, dass sie schwanger war, sie war vergewaltigt worden von dem Mann, bei dem sie gearbeitet hatten. Sie weinte, schlug sich auf den Bauch. ›Nein, ich bringe keinen Fritz nach Hause! Das tue ich nicht!‹ Sie hängte sich auf.
Damals hätte man zuhören müssen, zuhören und aufschreiben ... Warum hat das damals niemand getan?
Einmal fuhren meine Freundin und ich Fahrrad. Eine Deutsche kam uns entgegen, ich glaube, mit drei Kindern – zwei im Wagen, eins lief neben ihr, hielt sich an ihrem Rock fest. Sie sah völlig erschöpft aus. Und dann, als sie mit uns auf einer Höhe war, verstehen Sie, da fiel sie auf die Knie und verneigte sich. So ... Bis zur Erde ... Was sie sagte, verstanden wir nicht. Da legte sie die Hand dorthin, wo das Herz ist, und zeigte auf die Kinder. Jedenfalls, wir begriffen: Sie weinte, verneigte sich und dankte uns, weil ihre Kinder noch am Leben waren ...
Sie war ja auch die Frau von irgendjemandem. Ihr Mann war wahrscheinlich Soldat an der Ostfront gewesen ... In Russland ...«
Anastassija Wassiljewna Woropajewa ,
Gefreite, Flak-Soldatin
»Alles
Weitere Kostenlose Bücher