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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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vergessen.
    Maria Iwanowna Morosowa (Iwanuschkina) ,Gefreite, Scharfschützin:
    »Das wird ein einfacher Bericht ... Der Bericht eines einfachen russischen Mädchens ...
    Dort, wo mein Heimatdorf Djakowskoje lag, ist jetzt der Proletarski-Bezirk von Moskau. Als der Krieg begann, war ich knapp achtzehn. Ich hatte ellenlange Zöpfe, bis zu den Kniekehlen. Niemand glaubte, dass der Krieg lange dauern würde, alle rechneten damit, dass er jeden Moment zu Ende wäre. Dass wir den Feind vertreiben würden. Ich ging in den Kolchos, dann machte ich eine Buchhalterausbildung und fing an zu arbeiten. Der Krieg dauerte an ... Ich meldete mich zu einem Lehrgang im Wehrkomitee. Dort lernten wir mit einem Gewehr schießen und Handgranaten werfen. Die erste Zeit scheute ich mich, das Gewehr anzufassen, es war ein unangenehmes Gefühl. Den Lehrgang besuchten vierzig Personen. Vier Mädchen aus unserem Dorf, fünf aus dem Nachbardorf – kurz, aus jedem Dorf ein paar. Alles Mädchen. Die Männer waren schon alle an der Front, wer konnte ...
    Bald kam der Aufruf vom ZK des Komsomol zur Verteidigung der Heimat, denn der Feind stand schon vor Moskau. Was, die Deutschen wollten Moskau besetzen? Das lassen wir nicht zu! Ich war nicht die Einzige. Alle Mädchen erklärten, sie wollten an die Front. Mein Vater war bereits Soldat. Wir dachten, wir sind die Einzigen. Aber als wir ins Wehrkomitee kamen, waren dort viele Mädchen. Ausgewählt wurde sehr streng. Als Erstes musste man natürlich kerngesund sein. Ich hatte Angst, sie würden mich nicht nehmen, ich war nämlich als Kind oft krank und war, wie man so sagt, zart gebaut. Zierlich. Auch wenn außer dem Mädchen, das an die Front wollte, sonst keine Kinder mehr im Haus waren, wurde man nicht genommen, damit die Mutter nicht allein blieb. Ach, unsere Mamas! Unsere Mamas haben sich die Augen ausgeweint. Doch ich hatte noch zwei Schwestern und zwei Brüder, alle viel jünger als ich, aber sie zählten trotzdem. Aber da war noch etwas – aus dem Kolchos waren alle an die Front gegangen, es war keiner mehr da für die Feldarbeit, und der Vorsitzende wollte uns nicht weglassen. Mit einem Wort – wir wurden abgelehnt. Wir gingen ins Kreiskomitee des Komsomol – dasselbe, wieder abgelehnt. Da fuhren wir als Abordnung aus unserem Kreis ins Gebietskomitee des Komsomol. Wir waren voller Tatendrang. Wieder wurden wir nach Hause geschickt. Wir beschlossen, da wir nun schon mal in Moskau waren, gleich ins ZK des Komsomol zu gehen. Zum Ersten Sekretär. Wir wollten kämpfen bis zum Schluss. Wer sollte sprechen, wer von uns war die Mutigste? Wir dachten, hier würden wir ganz bestimmt die Einzigen sein, aber es war so voll, dass wir nicht einmal in den Flur reinkamen, ganz zu schweigen vom Büro des Sekretärs. Junge Leute aus der ganzen Sowjetunion waren da, viele davon hatten schon die Okkupation erlebt und wollten den Tod ihrer Angehörigen rächen. Aus dem ganzen Land ...
    Am Abend drangen wir endlich doch zum Sekretär vor. Wir wurden gefragt: ›Wie wollt ihr denn an die Front gehen, wenn ihr nicht einmal schießen könnt?‹ Da antworteten wir im Chor, das hätten wir bereits gelernt. ›Wo? Wie? Und Wunden verbinden, könnt ihr das auch?‹ Bei dem Lehrgang, wissen Sie, hatte ein Militärarzt uns auch das beigebracht. Da sagten sie nichts mehr. Und sahen uns schon ernsthafter an. Na, und dann hatten wir noch einen Trumpf in der Hand: Dass wir nicht allein waren, sondern außer uns noch vierzig andere, und alle konnten schießen und erste Hilfe leisten. Also beschieden sie uns: ›Geht zurück und wartet. Eure Anfrage wird positiv entschieden werden.‹ Was waren wir glücklich, als wir zurückfuhren! Unvergesslich ...
    Buchstäblich nach ein paar Tagen hatten wir den Einberufungsbefehl in der Hand.
    Wir kamen ins Wehrkomitee, da wurden wir gleich zu einer Tür reingeführt, zu einer anderen wieder raus: Ich hatte mir so einen schönen Zopf geflochten ... Raus kam ich schon ohne. Auch das Kleid nahm man mir weg. Ich konnte das Kleid und den Zopf nicht einmal mehr meiner Mama geben. Dabei hatte sie so gebeten, dass ich ihr etwas von mir dalasse. Wir bekamen sofort Feldbluse, Käppi und Kleidersack verpasst und wurden auf einen Güterzug verladen. Auf Stroh.
    Fröhlich stiegen wir ein. Munter. Lachend und scherzend.
    Wohin die Fahrt ging? Das wussten wir nicht. Es war uns eigentlich auch nicht wichtig, als was wir eingesetzt werden sollten. Hauptsache, an die Front. Alle kämpften, und das

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