Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
wollten wir auch. Wir erreichten die Station Schtscholkowo, in der Nähe war eine Scharfschützenschule für Frauen. Da sollten wir also hin. Scharfschützen werden. Alle freuten sich. Das war was Richtiges. Wir würden schießen.
Dann begann das Lernen. Dienst- und Disziplinarvorschriften, Tarnung im Gelände, chemische Abwehr. Die Mädchen gaben sich alle große Mühe. Wir lernten das Scharfschützengewehr mit geschlossenen Augen auseinander und zusammenbauen, die Windgeschwindigkeit bestimmen, die Bewegung des Ziels, die Entfernung vom Ziel, Schützenlöcher ausheben, flach auf dem Bauch robben – bis wir alles, alles konnten. Nur schnell an die Front! Ins Feuer. Am Ende des Lehrgangs bestand ich die Schieß- und Exerzierausbildung beide mit ›Sehr gut‹. Das Schlimmste, das weiß ich noch, war die Alarmübung: in fünf Minuten aufstehen und fertig machen. Wir nahmen die Stiefel ein, zwei Nummern zu groß, damit das Anziehen schneller ging. In fünf Minuten mussten wir angezogen und in Stiefeln angetreten sein. Es kam vor, dass wir mit Stiefeln an den nackten Füßen zum Antreten rausliefen. Ein Mädchen hätte sich dabei beinahe einen Fuß abgefroren. Der Hauptfeldwebel 1 bemerkte das und tadelte das Mädchen, dann brachte er uns bei, die Fußlappen richtig zu wickeln. Er stand vor uns und brummte: ›Ach, Mädelchen, wie schaffe ich es bloß, dass ihr Soldaten werdet und nicht Zielscheiben für die Fritzen?‹ Mädelchen, Mädelchen ... Alle mochten uns und alle bedauerten uns irgendwie. Es kränkte uns, dass sie uns bedauerten. Waren wir etwa keine Soldaten wie alle anderen?
Ja, und dann kamen wir an die Front. Bei Orscha, in die zweiundsechzigste Schützendivision. Der Kommandeur, Oberst Borodkin, das weiß ich noch wie heute, der sah uns und tobte: ›Mädchen haben sie mir aufgehalst! Von wegen – was soll der Weiberreigen? Hier ist Krieg, kein Tanzboden. Ein blutiger Krieg.‹ Doch dann lud er uns zu sich ein, gab uns zu essen. Wir hörten, wie er seinen Adjutanten fragte: ›Haben wir nicht was Süßes zum Tee?‹ Na, da waren wir natürlich beleidigt: Wofür hielt er uns? Wir waren zum Kämpfen gekommen! Und er behandelte uns nicht wie Soldaten, sondern wie kleine Mädchen. Vom Alter her hätten wir seine Töchter sein können. ›Was soll ich nur mit euch machen, meine Lieben? Wo haben sie euch bloß aufgesammelt?‹ So hat er uns behandelt, so hat er uns empfangen. Dabei bildeten wir uns ein, wir wären schon richtige Soldaten. Richtig im Krieg!
Am nächsten Tag ließ er uns demonstrieren, wie wir schießen und uns im Gelände tarnen können. Beim Schießen schnitten wir gut ab, sogar besser als die männlichen Scharfschützen, die für einen zweitägigen Lehrgang von der Front abberufen worden waren. Dann war die Tarnung im Gelände dran. Der Oberst läuft die Wiese ab, sieht sich um, dann steigt er auf einen Erdhuckel – nichts zu sehen. Da stöhnt der ›Huckel‹ unter ihm: ›Oh, Genosse Oberst, ich kann nicht mehr, Sie sind so schwer.‹ Na, das gab ein Gelächter! Er konnte nicht glauben, dass man sich so gut tarnen kann. ›Na‹, sagte er, ›ich nehme meine Worte wegen der Mädchen zurück.‹ Trotzdem fiel es ihm schwer. Er konnte sich lange nicht an uns gewöhnen.
Wir gingen den ersten Tag auf die ›Jagd‹ (so heißt das bei den Scharfschützen), meine Partnerin war Mascha Koslowa. Wir tarnten uns, lagen auf dem Boden: Ich beobachte, Mascha hält das Gewehr im Anschlag, plötzlich sagt Mascha zu mir: ›Los, schieß, schieß! Da, siehst du, ein Deutscher!‹
Ich sage: ›Ich beobachte. Schieß du!‹
›Eh wir uns hier einigen‹, sagt sie, ›ist er weg.‹
Ich bleibe stur: ›Ich muss erst die Geländekarte zeichnen, die Orientierungspunkte eintragen: den Schuppen, die Birke ...‹
›Willst du dich wie in der Schule mit Papierkram abgeben? Ich bin nicht für den Papierkram hier, sondern zum Schießen!‹
Ich sehe, Mascha ist schon wütend auf mich.
›Na, dann schieß doch, worauf wartest du?‹
So stritten wir uns. Inzwischen hatte der deutsche Offizier den Soldaten tatsächlich irgendwelche Anweisungen gegeben. Ein Fuhrwerk kam, die Soldaten bildeten eine Kette und beluden es. Der Offizier blieb eine Weile stehen, sagte etwas, dann verschwand er. Wir stritten. Ich sehe ihn noch zweimal auftauchen – wenn wir ihn noch einmal verpassen, dann geht er uns durch die Lappen. Beim dritten Mal – das geht ja immer ganz schnell, er kommt und geht wieder weg –, da
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