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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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auf ein wehrloses Fohlen geschossen. Ich war schon zwei Jahre an der Front ... Das war das erste Fohlen, das ich in den zwei Jahren gesehen hatte.
    Abends brachten sie das Essen. Die Köche: ›Gut gemacht, Scharfschützin! Heute ist Fleisch im Topf.‹ Sie stellten uns die Kochgeschirre hin und gingen. Meine Mädchen sitzen da und rühren das Essen nicht an. Ich begreife, was los ist, fange an zu heulen und renne aus dem Unterstand. Die Mädchen hinterher, trösten mich im Chor. Und dann rasch die Kochgeschirre geschnappt und gefuttert.
    Ja, so eine Geschichte. Die kann ich nicht vergessen.
    Nachts haben wir natürlich immer geredet. Worüber? Natürlich von zu Hause, jede hat von ihrer Mutter erzählt, und wessen Vater oder Brüder an der Front waren. Darüber, was wir nach dem Krieg werden wollten. Wie wir heiraten und ob unsere Männer uns lieben würden. Der Kommandeur lachte.
    ›Ach, Mädels! Ihr seid richtig toll, aber nach dem Krieg wird sich keiner trauen, euch zu heiraten. So gut, wie ihr zielt, da kriegt man einen Teller an den Kopf und ist tot.‹
    Ich habe meinen Mann an der Front kennengelernt, wir dienten im selben Regiment. Er hatte zwei Verwundungen, eine Kopfverletzung. Er hat den ganzen Krieg mitgemacht, von Anfang bis Ende, und auch danach war er sein Leben lang beim Militär. Ihm muss keiner erklären, was Krieg ist. Woher ich da zurückgekommen bin. Und wie. Wenn ich mal die Stimme hebe, dann bemerkt er es gar nicht oder schweigt dazu. Und ich nehme ihm ebenso nichts übel. Das habe ich auch gelernt. Wir leben seit vierzig Jahren zusammen, wir zählen unsere Jahre von einem Tag des Sieges zum nächsten. Seit fünfundvierzig. Zwei Kinder haben wir großgezogen, beide sind schon mit dem Studium fertig. Mein Mann und ich sind glücklich.
    Ja, das will ich Ihnen noch erzählen. Ich wurde aus der Armee entlassen und kam nach Moskau. Von Moskau bis zu uns nach Hause muss man noch eine Weile fahren und ein paar Kilometer laufen. Heute fährt eine Metro, aber damals waren da alte Kirschgärten und tiefe Schluchten. Eine Schlucht war sehr groß, und die musste ich überqueren. Es war schon dunkel, als ich ankam. Natürlich hatte ich Angst, die Schlucht zu überqueren. Ich stand da und wusste nicht, was tun: Umkehren und warten, bis es hell wird, oder Mut fassen und es riskieren. Wenn ich heute daran denke – einfach zum Lachen: Ich war an der Front gewesen, hatte wer weiß was mitgemacht, Tod und alles Mögliche, und nun fürchtete ich mich vor einer Schlucht. Im Grunde war ich ein kleines Mädchen geblieben. Im Zug, unterwegs ... Von Deutschland zurück nach Hause ... Da schlüpfte aus einem Rucksack eine Maus, und alle unsere Mädchen sprangen erschrocken auf, die von den oberen Pritschen waren mit einem Satz unten, alle schrien und quietschten. Der Hauptmann, der uns begleitete, staunte nur: ›Alle einen Orden an der Brust, aber Angst vor Mäusen.‹
    Zu meinem Glück kam ein Lastauto. Ich denke: Das halte ich an.
    Das Auto hält.
    ›Ich will nach Djakowskoje‹, rufe ich.
    ›Ich auch.‹ Ein junger Bursche macht die Tür auf.
    Ich in die Fahrerkabine, er wirft meinen Koffer auf die Ladefläche, und los geht die Fahrt. Er sieht meine Uniform, die Auszeichnungen. Fragt: ›Wie viele Deutsche hast du getötet?‹
    Ich antworte: ›Fünfundsiebzig.‹
    Er, ein bisschen spöttisch: ›Du spinnst, vielleicht hast du ja keinen Einzigen von nahem gesehen?‹
    Da erkenne ich ihn.
    ›Kolka Tschishow? Bist du’s? Erinnerst du dich, ich hab dir doch das rote Halstuch umgebunden.‹
    Vor dem Krieg hatte ich eine Zeit lang als Pionierleiterin an meiner Schule gearbeitet.
    ›Du, Marusska?‹
    ›Ja, ich.‹
    ›Wirklich?‹ Er bremst.
    ›Bring mich nach Hause, wieso hältst du mitten auf dem Weg an?‹ Ich habe Tränen in den Augen. Und er auch. So eine Begegnung!
    Wir kommen bei mir zu Hause an, er rennt mit dem Koffer zu meiner Mutter, tanzt mit dem Koffer über den Hof.
    ›Schnell, ich bringe Ihnen Ihre Tochter!‹
    Das kann man nicht vergessen. Ich jedenfalls nicht.
    Als ich zurück war, musste ich alles neu lernen. Zum Beispiel in Damenschuhen laufen, an der Front hatte ich ja drei Jahre nur Stiefel an. Wir waren ans enge Koppel gewöhnt, nun kam es uns vor, als ob die Kleidung an uns hinge wie ein Sack, wir fühlten uns unbehaglich. Röcke flößten mir Entsetzen ein, Kleider ... An der Front trugen wir die ganze Zeit Hosen, abends haben wir sie gewaschen, nachts drauf geschlafen – da waren sie so

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