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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Gegenwart vertrieben wurden. Niemand lädt uns mehr in Schulen und Museen ein, damit wir von uns erzählen, man braucht uns nicht mehr. Wenn man die Zeitungen liest, werden die Faschisten immer edler, die roten Soldaten immer furchterregender.«
    Auch die Zeit ist Heimat ... Aber ich liebe diese Menschen noch immer. Ihre Zeit liebe ich nicht, sie aber liebe ich.
    ***
    Alles kann zu Literatur werden ...
    Am meisten interessierte mich in meinem Archiv das Notizbuch, in dem ich alle Episoden festgehalten hatte, die von der Zensur gestrichen wurden. Meine Gespräche mit dem Zensor. Dort fand ich auch Seiten, die ich selbst rausgeworfen hatte. Meine Selbstzensur, mein eigenes inneres Verbot. Und meine Erklärung dafür – warum ich das nicht gedruckt habe. Vieles habe ich im Buch wiederhergestellt. Aber diese paar Seiten sollen gesondert stehen. Auch das ist ein Dokument. Und mein Weg.

Was die Zensur gestrichen hatte
    »Ich wache noch heute nachts auf ... Und mir scheint, als würde ... als würde da jemand weinen ... Ich bin im Krieg ...
    Wir waren auf dem Rückzug ... Hinter Smolensk bringt mir eine Frau ihr Kleid, ich ziehe mich schnell um. Ich war allein ... unter lauter Männern ... Mal trug ich Hosen, mal ein Sommerkleid. Plötzlich kriegte ich ... Na ja, eben ... Die Frauensache ... Zu früh, wahrscheinlich durch die Aufregung. Wo sollte ich was hernehmen? Ich schämte mich! Wie ich mich schämte! Wir schliefen unter Büschen, im Wald auf Baumstümpfen. Wir waren so viele, dass der Platz im Wald nicht für alle reichte. Wir waren verwirrt, fühlten uns betrogen, trauten niemandem ... Wo waren unsere Flugzeuge, unsere Panzer? Alles, was da flog, fuhr und ratterte, das alles war deutsch.
    So geriet ich in Gefangenschaft ... Am letzten Tag vor der Gefangenschaft brach ich mir beide Beine. Ich lag da und machte unter mich. Ich weiß nicht, mit welcher Kraft ich nachts in den Wald gekrochen bin. Zufällig wurde ich von Partisanen aufgelesen ...
    Mir tut jeder leid, der dieses Buch lesen wird, und jeder, der es nicht lesen wird ...«
    »Ich hatte Nachtdienst und kam ins Zimmer der Schwerverwundeten. Da lag ein Hauptmann. Die Ärzte hatten mir vor meinem Dienst gesagt, er würde diese Nacht sterben, würde es nicht mehr schaffen bis zum Morgen. Ich fragte ihn: ›Na, wie geht’s? Kann ich etwas für dich tun?‹ Das werde ich nie vergessen ... Er lächelte auf einmal, so ein strahlendes Lächeln auf dem gequälten Gesicht. ›Knöpf deinen Kittel auf ... Zeig mir deine Brust ... Ich habe meine Frau lange nicht gesehen ...‹ Ich war verwirrt, ich war sogar noch ungeküsst. Ich sagte irgendwas zu ihm. Dann lief ich raus und kam nach einer Stunde wieder ... Da war er schon tot. Mit diesem Lächeln im Gesicht ...«
    »Bei Kertsch ... In der Nacht fuhren wir unter Beschuss mit einem Lastkahn. Der Bug geriet in Brand ... Das Feuer kroch über das Deck ... Die Munition explodierte ... Eine gewaltige Explosion! So heftig, dass der Kahn sich auf die rechte Seite legte und sank. Das Ufer war nicht mehr weit weg, wir wussten, dass es ganz in der Nähe war, und die Soldaten sprangen ins Wasser. Vom Ufer aus schossen Maschinengewehre ... Schreie, Stöhnen, Fluchen ... Ich konnte gut schwimmen, ich wollte wenigstens einen retten ... Wenigstens einen Verwundeten ... Im Wasser, da stirbt ein Verwundeter doch sofort. Ich höre – neben mir taucht einer kurz auf und geht wieder unter. Kommt hoch und geht wieder unter. Ich passte den Moment ab, packte ihn ... Etwas Kaltes, Glitschiges ... Ich denke, ein Verwundeter, die Explosion hat seine Kleidung zerfetzt. Ich selbst war nämlich auch fast nackt ... Nur in Unterwäsche. Es war stockdunkel. Überall ›Aaah! Auu!‹. Und Flüche ... Irgendwie schaffte ich es mit ihm ans Ufer ... Just in dem Augenblick flammte am Himmel eine Rakete auf, und ich sah, dass ich einen großen verwundeten Fisch rausgeschleppt hatte. Einen großen Fisch, so groß wie ein Mensch. Ein Beluga ... Er starb ... Ich fiel neben ihn und ließ einen dreistöckigen Fluch los. Ich weinte vor Kränkung ... Und weil alle litten ...«
    »Wir brachen aus der Umzingelung aus ... Wohin wir uns auch wendeten – überall Deutsche. Wir beschlossen: Am Morgen versuchen wir es. Wir werden sowieso sterben, also dann lieber im Kampf. Wir hatten drei Mädchen bei uns. Sie gingen in der Nacht zu jedem, der noch konnte ... Natürlich waren nicht alle in der Lage. Die Nerven, verstehen Sie. Wir waren darauf gefasst zu sterben ...
    Am

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