Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
der Gelegenheiten war mir unangenehm in Erinnerung geblieben. Denn obgleich diese Kisten für Lebensmittel bestimmt schienen, war ihre Anordnung doch völlig unfunktional, da Transportkisten gestapelt und nicht solcherart aufgereiht werden. Die gekonnt nachlässig wirkende Art, wie ihre Latten zusammengehauen waren, Planken mit groben Rändern, zwischen deren Spalten Holzwolle herausquoll, sollte ebenso über ihren wahren Inhalt hinwegtäuschen wie der allzu süße Geruch fauliger Bananen, der aus ihrem Inneren strömte. Mich erwarteten weder das freundliche Lächeln eines Kolonialwarenhändlers noch die Süße einer exotischen Frucht, lediglich die erdrückende Schwere von siebzehn Särgen aus Blei. Siebzehn Behältnisse des nagenden Zerfalls, siebzehn Siegel des Chaos. Siebzehn Vasen, aus denen lebendig der Tod erblühte. Die Heeren XVII , die künftigen Herren der Welt.
Eine zischende, schnarrende Stimme erhob sich, dieselbe Stimme, die ich in meinem Ohr gehört hatte, nur dieses Mal kam sie von allen Seiten ... nicht zu orten, als hätte sich in meinem tiefsten Inneren ein Abgrund aufgetan, aus dem sie sprach. „Der Ingenieur erhält Audienz bei den Heeren . Was hat der Ingenieur zu vermelden?“
Der Ingenieur weiß nicht, wieso er bei den Heeren vorspricht.
„Hat er die Antworten, die er uns bringen sollte?“
Noch nicht, aber bald. Es haben sich bisher keine der erhofften Unterlagen gefunden. Jedoch bin ich sehr zuversichtlich, denn ich habe stattdessen ...
„Was ist mit dem Abtrünnigen?“
Nichts, was soll mit ihm sein? Sedgwick ist tot, aber Ihr sagtet ja, dass es wahrscheinlich so kommen würde. Immerhin war sein ...
„Er war das erste einer Reihe notwendiger Opfer. Was hat der Ingenieur also in Erfahrung gebracht?“
Wie gesagt: Sedgwick besaß leider keinerlei Baupläne oder Instruktionen. Allerdings habe ich auf seinem Schreibtisch eine überaus interessante ...
Da erhob sich eine andere Stimme, nicht weniger schnarrend und röchelnd als die erste. Ich wünschte, sie würden einen gelegentlich einmal einen Gedanken zu Ende führen lassen; es verdarb einem wirklich die Freude an diesen Treffen.
„Wir vermuten, der Ingenieur hat sich Fehler erlaubt. Wir vermuten, er wurde bei seinem Einsatz gesehen.“
Wer soll mich gesehen haben? Diese naseweisen Engländer vielleicht? Sicher ist ihre vornehmliche Diskretion nichts als ein einziger Betrug, jedoch hatte ich meine Tarnung und habe mich durch das Fenster ...
„Er wurde gesehen; das heißt, wir wissen es nicht sicher.“
Wie sicher ist nicht sicher?
„Unser Auge ist dunkel.“
Ihr habt Augen dort? Jeetje , wieso habt ihr mich dann dort hingeschickt, wenn ihr doch ohnehin alles seht?
Ein starkes Unwohlsein überkam mich. Ich war zu weit gegangen.
„Halte er sich an unsere Weisung; tue er, was ihm aufgetragen; frage er nicht, wo wir Auge, wo Mund, wo Stachel haben, denn Stachel haben wir – zu stechen.“ Worauf mich eine neue Welle des Unwohlseins überkam.
Ich fluchte innerlich. Sie ließen mir keine Gelegenheit, sie von meiner jüngsten Errungenschaft, deren Entdeckung fraglos von äußerster Bedeutsamkeit war, zu unterrichten. Mittlerweile war mir auch die Lust vergangen, sie darauf hinzuweisen. Der Moment würde kommen, an dem sie mich für meine Gewitztheit belohnen würden; für den Augenblick aber sollte ich wohl besser meine Audienz überleben.
Die Heeren mögen mir verzeihen. Falls ich unbedacht war ...
„Unbedacht! Er gefährdet unsere Mission schon beim Auftakt. Wo befindet er sich danach? Unter den Vielen, gesehen, gehört, verdächtigt zu werden!“
Werte Heeren , London ist eine Weltstadt, hier kann man nicht anders, als unter vielen sein!
„Er müsste es besser wissen. Wir haben ihn zum Ingenieur gemacht. Er ist die Hand unserer Gleichung, fügt die Bilanz unseres Plans. Er weiß, dass sein Handeln zu verdecken ist, seine Unsichtbarkeit oberstes Gebot, er weiß, dass alles an ihm hängt und wir, Augen, Ohr und Gedanken, ihm als Hand vertrauen. Die Jahre unseres Wartens sind jetzt schon Legion – wenn er gefasst wird, wieder Legion.“
Wenn die Heeren mir doch nur ...
„Schweige er still. Er hätte solche Fehler nicht machen dürfen.“
Dieser letzte Satz gefiel mir nicht. Dem Anschein nach hatte sich die Stimme den anderen zugewandt. Was mich allerdings noch mehr beunruhigte als ihr mahnender Ton, war die Frage einer dritten Stimme, die darauf folgte:
„Sollen wir ihm die Bestrafung zukommen lassen?“
Es
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