Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Aber wir wollen ein rasches Ergebnis – sind Sie bereit, mir in diesem faszinierenden Experiment zu assistieren? Dann löschen Sie doch bitte das Licht.“
Ich tat, wie mir geheißen, stellte die Lampe beiseite und trat von hinten an den Toten heran. Ich legte meine Finger an seine Schläfen, ertastete seinen Haaransatz und seine Brauen, schloss dann meine Augen und ging in mich. In ihn .
Ich hatte erst einmal versucht, Kontakt mit einem Toten herzustellen – es war natürlich Baileys Idee gewesen, ich wäre nie auf so etwas gekommen –, doch damals war bereits zu viel Zeit seit seinem Ableben verstrichen gewesen. Nichtsdestotrotz war es eine sehr verstörende Erfahrung gewesen.
Diesmal spürte ich eine Gegenwart, kaum, dass ich mich zu konzentrieren begonnen hatte. Wahrscheinlich hatte die Flüssigkeit, die Bailey Sir Malcolm injiziert hatte, etwas damit zu tun. Überrascht rang ich nach Atem; dann kämpfte ich meine Aufregung herab und drang tiefer.
Sir Malcolms Geist – oder das, was sich noch seiner erinnerte – ruhte in seinem Gehirn wie ein Schiff in der Flasche. Die Segel waren noch gesetzt, doch es gab keinen Ort mehr, an den es hätte segeln können, und bald würden die Taue erschlaffen, die sorgsam ineinandergefügten Teile zerfallen; das Glas würde erblinden und das Schiff dem Vergessen anheimfallen.
Er spürte, dass ich da war und in die Flasche spähte.
Einen Moment packte mich Entsetzen. Nie hätte ich damit gerechnet, noch eine so starke Präsenz anzutreffen, und ich empfand Mitleid mit dem Toten, der unrettbar auf der anderen Seite des Glases verloren war. Ich dachte an das endlose Meer, in dem er sich bald verlieren und in dem er in seinem zerbrechlichen Gefängnis eine Unendlichkeit lang treiben würde, durch Stürme und Wirbel, bis er vielleicht eines Tages an einen unbekannten Strand gespült wurde. Dania hatte einmal gesagt, der Mensch müsse so viele Leben durchleiden, wie Inseln im Ozean sind, erst dann könne er Ruhe finden. Ich sagte das Sir Malcolm. Ich weiß nicht, ob er es verstand, aber er verstand, was wir von ihm wollten.
Ein bläulich leuchtender Strahl fiel auf die Folie. Der Glanz schien als hauchdünner Faden aus Sir Malcolms Auge zu dringen, dann traf er den leuchtenden Kristall, der ihn in zarten Bündeln auf die zerbrechliche Folie warf, wo er tanzende Linien und Bilder zeichnete. Ehrfürchtig sahen wir dem unheimlichen Treiben zu. Bailey stand unbewegt wie eine Rüstung, und dankenswerterweise hatte er wieder seine Brille aufgesetzt, so dass ich nicht in seine leere Augenhöhle starren musste.
Nach wenigen Momenten war der Spuk vorbei, und ein Seufzen fuhr durch Sir Malcolms Körper. Ich spürte, dass er fort war, und ließ los. Bailey hauchte über die Folie, dann rollte er sie ein, zog seinen Schirm aus der Erde und verstaute die Folie im Stock. Dann schraubte er den Kristall ab, lüftete seine Brille und setzte ihn wieder dorthin, wo er ihn immer trug.
„Machen Sie Licht“, sagte er, und ich gehorchte.
„Was nun?“, fragte ich.
„Bringen Sie die Nekrotypie zum Tempel, um sie entwickeln zu lassen. Ich denke, wir haben gute Arbeit geleistet, und wenn alles glattgeht, haben wir ein vorzügliches Portrait unseres Schurken.“ Ich nickte. „Ich werde mich einstweilen um Lady Sedgwick kümmern, und um die Polizei, sobald sie kommt. Beeilen Sie sich, Miss Niobe! Mein Alibi für Sie wird so makellos sein wie die Bettwäsche der königlichen Familie. Sie hören von mir, sobald ich ein Ergebnis habe. Bis dahin geben Sie auf sich acht – und auf meinen Schirm bitte auch.“
Ich nahm seinen Schirm an mich und kletterte zurück aus dem Fenster. Fluchend lockerte ich meine Korsage, sobald ich Lady Sedgwicks Anwesen hinter mir gelassen hatte. Fröstelnd zog ich mir das Oberteil meiner enganliegenden, schwarzen Kleidung, die mir auf Beutezügen schon oft gute Dienste geleistet hatte, über die nackten Schultern. Ich wurde wieder ein Niemand, ein Schatten, und war bald ganz mit der Nacht um mich herum verschmolzen.
Frans Ovenhart
Im hellen Licht
So sende ich nun einen weisen Mann, der Verstand hat, Hiram, meinen Meister (der ein Sohn ist eines Weibes aus den Töchtern Dans, und dessen Vater ein Tyrer gewesen ist); der weiß zu arbeiten an Gold, Silber, Erz, Eisen, Steinen, Holz, rotem und blauem Purpur, köstlicher weißer Leinwand und Scharlach und einzugraben allerlei und allerlei kunstreich zu machen, was man ihm aufgibt (...)
– 2. Buch der Chronik 2,
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