Der Kronrat (German Edition)
das das Muster des Bodens unterbrach, eine Art goldenes Siegel, das dort eingelassen war, im Durchmesser etwa einen Schritt. Ich trat näher und sah es mir an. Es war ohne Zweifel eine elfische Arbeit und zeigte den Lebensbaum der Elfen, unter dem zwei Drachen ruhten. In dem Gewirr von Ranken und Blättern schien mir noch mehr verborgen, aber meine Augen tränten, als ich versuchte zu erkennen, was es war. Gesichter vielleicht?
Ich beugte mich herab und klopfte dagegen: Das Gold war dick und massiv, dennoch kam es mir so vor, als gäbe es darunter einen Raum.
»Was verbirgt sich darunter?«, wollte ich von Orikes wissen, während Serafine sich das Siegel ebenfalls besah.
»Das weiß niemand«, antwortete der Stabsobrist. »Der Kaiser hat es mit eigener Hand gelegt, als er den Thronsaal errichten ließ. Die vorherrschende Meinung ist, dass es sich nicht öffnen lässt. Es gibt keinen erkennbaren Mechanismus. Ich kenne nur einen, der anderer Ansicht ist. Er sagt, es wäre ein Schloss.« Der Stabsobrist zuckte mit den Achseln. »Er ist ein Dieb und sieht die Dinge auf seine Art.«
»Wie läuft der Kronrat ab?«, fragte ich.
»Er tagt drei Tage lang. Die Herrscher und ihre Berater betreten den Raum zur dritten Glocke, dann wird die Tür dort verschlossen und bleibt es sechs Kerzen lang.«
»Entweder haben alle Herrscher Blasen aus Stahl, oder es gibt Aborte«, stellte ich fest.
Orikes schmunzelte. »Hinter jeder Loge gibt es ein kleines Bad und einen Abort. Und die Regel, ihn nur allein aufzusuchen. Der Sinn dieser Halle ist es, dass es keine Gespräche im Verborgenen gibt. An den ersten beiden Tagen werden die Vorschläge unterbreitet und diskutiert, am letzten Tag wird dann der Beschluss gefasst.« Er sah sich in der Halle um. »Deshalb wird die Hauptarbeit zur Zeit von den Diplomaten der Reiche geleistet, denn wenn sie sich hier beraten, bleibt den Herrschern nicht viel Zeit. Die Beschlüsse müssen einstimmig sein. Sie müssen nicht für alle Reiche gelten, auch Vereinbarungen zwischen zwei Reichen werden hier getroffen, und dann braucht man nur diese beiden Stimmen. Die anderen können sich enthalten, aber es darf keine Gegenstimme geben.«
»Offen auf den Tisch gelegt«, stellte ich fest. »Euer Kaiser war ein Träumer, wenn er dachte, dass das so funktioniert.«
»Ab und an sind sie sich einig«, meinte Orikes. »Aber es gibt auch noch einen anderen Zweck des Rats. Ein Ratsmitglied kann gegen ein anderes Anklage erheben. Wenn das geschieht, bleibt die Tür verschlossen, bis ein einstimmiges Urteil gefällt ist. Einmal kam es vor, dass es neun Tage dauerte. Dass es hier nur Wasser gibt, beschleunigt eine Einigung.« Er schmunzelte. »Ich habe gehört, dass sie damals alle auf dem Boden geschlafen haben und die Entscheidung nur deshalb fiel, weil sie zerschlagen und sehr, sehr hungrig waren.«
»Ein Ratsmitglied erhebt Anklage, und die Tür bleibt zu, bis entschieden ist?«
»Genau das.«
»Niemand darf gehen?«
»Niemand kann gehen. Die Tür schließt sich durch die Magie des Kaisers. Nicht einmal eine Ramme würde sie öffnen. Genau das Gleiche geschieht auch am letzten Tag des Kronrats.«
»Und alle müssen einig sein?«
»Ja.« Orikes sah sich in der hohen Halle um. »Es gibt das Sprichwort, dass ein Kompromiss ein Brot wäre, das niemandem schmeckt, aber alle nährt. Nach diesen neun Tagen waren sie wohl hungrig auf das Brot.«
»Wird alles niedergeschrieben?«
»Ja.« Er wies auf flache eiserne Schalen, die in jeder Loge seitlich nahe der Wände standen. »Aber alles wird, bis auf das, was einstimmig beschlossen wird, danach in diesen Schalen verbrannt.«
»Alles? Versucht niemand, dabei zu betrügen und Aufzeichnungen mit nach draußen zu nehmen?«
»Es wäre schmerzhaft«, meinte Orikes mit einem Lächeln. »Denn die Magie der Halle verbrennt es spätestens dann, wenn man sie verlässt.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Es muss den Herrschern zuwider sein, derart gegängelt zu werden. Was ist, wenn sie lügen? Fangen sie dann an zu stottern?«
»Nein«, meinte Orikes. »So weit geht es dann doch nicht. Wenn allerdings eine Anklage erhoben wird, nehmen oft die Hohepriester unserer Götter an der letzten Sitzung teil. Sie sind imstande zu erkennen, wenn jemand lügen sollte.«
»Wie hat er die Herrscher nur dazu gezwungen, sich auf all das einzulassen?«, wunderte sich Serafine.
»Es steht im Vertrag«, sagte Orikes. »Er wird nichtig, wenn sie sich nicht daran halten.«
Langsam
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