Der Kruzifix-Killer
ziemlich viel zu Fuß unterwegs sein würde, war es eine perfekte Gelegenheit, seine neuen Schuhe einzulaufen, überlegte er. Als er sie im Wohnzimmer ausprobierte, fühlten sie sich etwas eng an, doch nach zwei Tagen zu Fuß durch L.A. hätte sich das garantiert erledigt.
Der Besuch bei dem nächsten Krankenhaus auf seiner Liste gestaltete sich genauso zäh wie die vorherigen. Wieder eine winzige Kammer, wieder ein Archivierungssystem, das eigentlich einen Kryptographen erfordert hätte. Warum haben Krankenhäuser Computer, wenn keiner weiß, wie man damit umgeht? , schimpfte er halblaut vor sich hin, als er endlich mit der Liste unterm Arm aufbrach, gerade noch rechtzeitig, um zur vereinbarten Zeit im Dezernat zu sein.
Die Tatsache, dass Garcia nicht an seinem Schreibtisch saß, als Hunter um Viertel nach zehn sein Büro betrat, beunruhigte ihn nicht weiter. Vermutlich war sein Partner gerade unten bei Captain Bolter, um den Bericht des Vortages abzuliefern.
Hunter warf den Umschlag mit der neuen Patientenliste auf seinen Tisch und starrte eine Minute lang auf die Pinnwand mit den Fotos. Zuerst brauchte er noch eine Tasse von diesem brasilianischen Kaffee, bevor er nach unten ging. Jetzt fiel ihm auf, dass Garcia noch keinen gekocht hatte. Seltsam , dachte er, denn das war eigentlich immer das Erste, was sein Partner tat, wenn er ins Büro kam.
Hunter kochte sich den Kaffee selbst.
»Sind das neue Schuhe?«, fragte Detective Lucas, als Hunter das Großraumbüro auf der Hauptetage des Morddezernats betrat.
Hunter ignorierte Lucas’ spöttelnden Ton.
Praktisch sämtliche Köpfe hoben sich neugierig von den Akten oder Computern, über die sie gebeugt waren. Diesen Anblick wollte sich keiner seiner Kollegen entgehen lassen.
»Und ob die neu sind! Ganz der Dandy, was?«, hakte Lucas nach.
»Alle zehn Jahre kaufe ich mir ein Paar neue Schuhe, und dafür muss ich mich aufziehen lassen?«, erwiderte Hunter mürrisch.
Bevor Lucas etwas erwidern konnte, klingelte Hunters Handy.
»Detective Hunter am Apparat …«
»Hallo Robert. Ich habe eine Überraschung für dich. Hast du deinen Partner in letzter Zeit mal gesehen?«
57
5 9, 58, 57 … Hunters Blick war wie gebannt auf die Digitalanzeige über Garcias Kopf gerichtet. Sein Herz klopfte wie ein Presslufthammer. Obwohl der Kellerraum sich anfühlte wie eine Sauna, war es Hunter kalt. Eine Eiseskälte, die von innen kam und ihn zittern ließ.
Such eine Farbe aus … irgendeine Farbe , dachte er fieberhaft. Schwarz, weiß, blau oder rot. Die Farben tanzten vor seinen Augen herum wie in einem psychedelischen Film. Er sah Garcia, an das Kreuz genagelt. Blut lief ihm übers Gesicht, von der Dornenkrone, die ihm in den Schädel gerammt worden war.
Es ist ganz einfach , hatte die metallische Stimme auf dem Band gesagt. Wähl die richtige Farbe aus, und die Tür zu dem kugelsicheren Plexiglaskäfig geht auf. Hunter könnte zu Garcia gelangen, und dann nichts wie raus hier mit ihm. Such die falsche Farbe aus, und eine Stromladung fließt durch die Dornenkrone auf Garcias Kopf. Und als ob das noch nicht grausam genug wäre, würde auch noch eine Sprengladung hinter dem Käfig detonieren und den ganzen Raum in die Luft jagen, sobald Garcias Herzrhythmus aussetzte.
Garcia schien erneut das Bewusstsein verloren zu haben.
»Grünschnabel, bleib wach«, schrie Hunter und hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür des Käfigs.
Keine Reaktion.
»Carlos …« Der laute Ruf hallte durch den Kellerraum.
Diesmal hob Garcia minimal den Kopf.
Hunter schaute auf den Herzmonitor. Der kleine Lichtpunkt hüpfte immer noch in gleichmäßigen Intervallen nach oben.
43, 42, 41 …
»Komm schon, Grünschnabel, halt durch«, bettelte Hunter und sah sich fieberhaft in dem Raum um – nach irgendetwas, das ihm helfen könnte, irgendeinem Hinweis auf den richtigen Knopf. Doch da war nichts.
Noch nicht einmal zwei Monate. Garcia ist noch nicht einmal zwei Monate beim Morddezernat. Warum mussten sie ihn ausgerechnet mir zuteilen? , fluchte Hunter im Geiste. Das hätte nicht sein erster Fall sein sollen.
Garcias Körper zuckte in einem Krampfanfall, was Hunters Gedanken schlagartig wieder in den Kellerraum zurückbrachte.
32, 31, 30 …
Wie viel Blut er wohl verloren hat? Selbst wenn ich ihn hier lebend rausbringe, schafft er es womöglich nicht. Hoffentlich war Garcia zäher als erwartet.
Nur noch ein paar Sekunden. Hunters Gehirn arbeitete auf Hochtouren, doch er
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