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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Dubosarsky
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seines Großvaters immer als das stille Haus. So hatte er es getauft, als er klein gewesen war, um die drei Jahre alt. Es war still, dunkel, wunderschön, Holz und Stein überall. Sein eigenes Zuhause war voller Lärm und Musik und Elkanah – Tonleitern schmetternd, herumspringend, lachend, Türen schlagend. Wer weiß, vielleicht würde ihr Zuhause ohne Elkanah ebenfalls still werden.
    Doch schon der Gedanke an eine Welt ohne Elkanah ließ Samuel vor Furcht erzittern.
    Kapitel 7
    Rhody
    Theodora wusste, dass Elias Samuel lieber hatte als sie, aber es machte ihr nichts aus. Immerhin war er nicht ihr wirklicher Großvater. Sie hatte einen eigenen Großvater: Pearls Vater, Rhody, der nach Theodoras Geburt bei Pearl eingezogen und nie wieder ausgezogen war.
    Rhody arbeitete für eine Zeitung. Er schrieb für die Sportredaktion. Rhody hatte zu jeder Sportart, von Tischtennis bis zu Gaelic Football, eine fundierte Meinung. Er war in Zimbabwe zur Welt gekommen, das damals noch Rhodesien hieß, und seine Eltern waren so dankbar gewesen, dort leben zu dürfen (sie waren Flüchtlinge aus Polen), dass sie ihn Rhodes getauft hatten, was im Zeitungsgeschäft zu Rhody abgekürzt worden war.
    Rhodys Arbeit führte ihn relativ häufig nach Sydney. Normalerweise meldete er sich dann nicht bei Theodora – schließlich hatte er zu tun, flog nur rasch hin und her, um Golf-Profis zu interviewen, und immer klang alles wichtig. Außerdem hatte er bereits Grace, Annie, Elizabeth und Bea, wenn er je das Gefühl benötigte, Großvater zu sein. Aber manchmal, wenn er daran dachte, dass er jeden Moment tot umfallen könnte, vollzog Rhodys Herz eine kleine Wendung. Dann bat er Theodora um ein Treffen, schließlich könnte es das letzte sein.
    Wenige Wochen nachdem Randolph Butcher wegen der vegetarischen Spaghetti aufgekreuzt war, rief Rhody vor dem Frühstück an, um anzukündigen, dass er in der Stadt sei, Theodora von der Schule abholen und sie auf ein Geburtstagseis in die Eisdiele ausführen werde – sie war am vergangenen Mittwoch dreizehn geworden. Es war typisch für Rhody, dass er sich nicht daran hielt – er war schon eine dreiviertel Stunde vor Schulschluss da, rannte lautstark herum und fand sie in der Turnhalle, wo sie an zwei von der Decke hängenden Ringen hin und her schwang.
    »Du wirst dir die Schultergelenke damit auskugeln!«, rief er, und Theodora plumpste überrascht zu Boden. Alle starrten in ihre Richtung, auch der Sportlehrer, weil Rhody einen weißen Hut trug, einen recht exotisch wirkenden zitronenfarbigen Anzug (der zum Ende des Tages hin immer schmuddeliger wirkte) und eine breite goldene Krawatte.
    »Bin der Großvater«, erklärte Rhody gut gelaunt. »Ab geht’s in die Eisdiele.«
    Rhody konnte Schulen und Lehrer nicht ausstehen. »War schon immer ein kleiner Rebell«, behauptete er ab und zu. »Keine Zeit für Disziplin und Durchhalteparolen.« Aber Pearl hatte Theodora verraten, dass Rhody in seiner Schule in Rhodesien Aufsichtsschüler gewesen war und dass er dort Preise für besondere Leistungen und vorbildhaftes Verhalten gewonnen habe.
    »Du bist zu früh«, beschwerte sich Theodora, als sie das Schulgelände verließen. Sie ärgerte sich, ihr war heiß, sie schwitzte, und sie fühlte sich peinlich berührt. »Warum kommst du eigentlich immer zu früh oder zu spät?«
    »Und du bist zu jung, um nach der Uhr zu leben, Gnädigste!«, spottete Rhody. »Mach dich locker, hm? Hab dir ja gesagt, dass du auf ihn setzen sollst.«
    Mach Dich Locker war ein Pferd, das letztes Jahr bei den Meisterschaftsrennen von Melbourne mitgelaufen war. Rhody liebte Sportwetten.
    »Nein, hast du nicht«, sagte Theodora. »Und ich kann es beweisen. Ich hätte es aufgeschrieben.«
    Rhody schloss den Mund mit einem Lächeln und öffnete die Tür des wartenden Taxis. Er wusste, wann man Tatsachen besser nicht widersprach.
    »Spring rein, Pinocchio«, sagte er. Er benutzte für all seine Enkelinnen denselben Spitznamen, also konnte sie schlecht die Beleidigte spielen. »Hauen wir hier ab.«
    Theodora und Rhody bestellten Eisbecher im Café des Hilton Hotels. Genauer gesagt, aß nur Theodora ein Eis. Vor Rhody stand schwarzer Kaffee, den er nicht trank. Wenn man darüber nachdachte, überlegte Theodora mit krauser Stirn, während sie einen entsprechenden Eintrag in ihr Notizbuch plante, hatte sie Rhody überhaupt kaum je etwas anderes als Whisky trinken sehen. Und etwas essen so gut wie gar nicht – nicht mal ein Ei.
    Rhodys Frau

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