Der kuerzeste Tag des Jahres
war lange vor Theodoras Geburt gestorben. Das war eines der Dinge, die er mit Elias gemein hatte: Witwer zu sein. Aber Elias trank so gut wie nie Alkohol, und er füllte seinen Magen mit kleinen, ausgewogenen Portionen nahrhaften Essens, wie ein Astronaut.
Rhody lupfte seine Tasse. »Ein Hoch! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Auf die neue Teenagerin!«
Theodora grunzte.
»Also, was hast du an deinem Geburtstag gemacht?« Rhody stellte die Tasse wieder ab. »Die ganze Nacht durchgetanzt?«
Theodora, randvoll mit Nusseis, schüttelte den Kopf. »Wir waren beim Chinesen«, brachte sie schließlich mit tauben Lippen hervor. »Essen, so viel man wollte, für fünf Dollar fünfzig.«
»O mein Gott.« Rhody sah so aus, als würde ihm schon beim Gedanken daran übel. »Und, wie geht es deinem Vater, Pinocchio?«, wechselte er schnell das Thema, bevor Theodora womöglich auf die Idee kam, ihm zu erzählen, mit wie vielen Frühlingsröllchen sie sich vollgestopft hatte. »Begeistert er immer noch die Massen von Brisbane bis zur Goldküste?«
Rhody empfand für den Ex-Mann seiner Tochter herzlich wenig Zuneigung. Das war die andere Sache, möglicherweise die einzige andere Sache, die er außerdem noch mit Elias gemein hatte.
»Mmm«, gab Theodora zurück, den Mund jetzt voller Erdbeereis. »Nächsten Monat tritt er in Amerika auf, glaube ich.« Sie hatte ihn etwas in der Art am Telefon sagen hören und es in ihr Notizbuch eingetragen.
»Na ja, wenn man Eiscreme mag, gibt es dafür keinen besseren Ort auf der Welt als Amerika!« Rhody warf seine leuchtende Krawatte über die Schulter. »Da haben sie die Eiscreme erfunden, weißt du.«
»Haben sie nicht«, sagte Theodora mit fester Stimme. Sie stocherte mit dem langstieligen Löffel unter dem Obst herum, auf der Suche nach Schokoladensoße. »Eiscreme wurde in China erfunden.«
»Oh, China!« Angesichts ganzer Zeitalter menschlicher Zivilisation hob Rhody ehrerbietig eine Hand. »Tja, eigentlich stammt so gut wie alles aus China, stimmt’s, Pinocchio? Versteht sich von selbst. Aber ich meinte nach China.«
»Randolph stammt aus China«, bemerkte Theodora, eigentlich bloß, um die Unterhaltung in Gang zu halten.
»Randolph? Wer ist Randolph?« Rhody runzelte die Stirn. Er war in seinem Leben unzähligen Menschen begegnet, aber einen Namen wie Randolph hätte er sich mit Sicherheit behalten.
»Du weißt schon. Mums Freund.«
»Könnte ich nicht von einem Adam unterscheiden«, sagte Rhody herablassend. »Von einer Eva übrigens auch nicht«, fügte er hinzu. Rhody mochte kleine Witze.
»Wir haben ihn im Supermarkt kennengelernt«, fuhr Theodora fort. »Er hat nach Joghurt mit lebenden Bakterienkulturen gesucht.«
»Grundgütiger!«, gab Rhody zurück. »Klingt ja widerlich«, aber jetzt hörte er genauer hin. Wäre er ein Terrier gewesen, hätten seine Ohren sich aufgestellt. Obwohl Rhody niemals ein Terrier gewesen wäre; er wäre ein hagerer und langbeiniger und ein wenig aristokratischer Hund gewesen, wie ein Afghane.
»Aus China, hm?«, sagte er, weil Theodora das Thema offenbar als erledigt betrachtete und sich wieder dem Sezieren ihres Eisbechers zugewandt hatte.
»Mhm, Hongkong, genauer gesagt. Das stand seit 1898 unter britischer Verwaltung.«
»Ganz recht, Schätzchen. Ich hab die verdammten Geschichtsbücher gelesen.« Rhody senkte den Blick. »Sie trifft ihn oft, oder?«
»Ständig. Du weißt schon, wenn Daddy unterwegs ist«, sagte Theodora abwesend. Ihre Stimme wurde schärfer, als sie Rhodys Hand in die Brusttasche seines Hemds gleiten sah. »Du darfst hier drin nicht rauchen.«
»Dann leck endlich den Becher aus!«, sagte Rhody ungeduldig. »Und dann gehen wir raus, ein bisschen Luftverschmutzung verursachen.«
Während der Heimfahrt im Taxi pfiff Rhody die ganze Zeit, wenn er nicht gerade dem mürrischen Taxifahrer Witze erzählte. Offenbar bereitete irgendetwas ihm gute Laune. Theodora kam nicht dahinter, was es sein mochte. Als sie zu Hause ankamen, überraschte er sie erneut, als er vorschlug, oder vielmehr ankündigte, dass er mit nach drinnen kommen wolle, was er sonst praktisch nie tat.
»Aber außer Papa ist keiner zu Hause«, protestierte sie. »Hannah kommt frühestens um halb sechs heim.«
»Kein Problem«, sagte Rhody gewieft. »Dein Dad und ich kommen bestimmt auch alleine klar, oder?«
Theodora verdrehte die Augen. Das erschien ihr sehr unwahrscheinlich. Sie verzog sich nach oben, um Hausaufgaben zu machen, und überließ
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