Der Küss des schwarzen Falken
Müdigkeit hatte sie übermannt. Kein Wunder. Die Nacht zuvor hatte sie wenig geschlafen, und den Tag über war sie keine Minute zur Ruhe gekommen – erst die Vorstandssitzung, dann der Flug nach San Antonio und die Fahrt über fast zweihundert Kilometer im Mietwagen. Als sie sich dann in Mary Sloans Wohnzimmer auf einen bequemen Sessel gesetzt hatte, um auf Rand und Mary zu warten, bis sie von der Beerdigung zurückkehrten, waren ihr die Lider schwer geworden.
Grace stand auf und spähte durch die Spitzengardinen. Mary und Rand waren schon aus ihrem Pick-up gestiegen. Dahinter war ein zweiter vorgefahren, aus dem jetzt zwei junge Männer kletterten. Auch sie waren groß und hatten dunkles Haar.
Grace sah auf ihre Armbanduhr und wunderte sich, dass die Beerdigung schon vorbei war. Sie hatte ursprünglich schon zurückfahren wollen, weil sie es taktlos fand, sich jemandem an einem solchen Tag aufzudrängen, aber Mary hatte darauf bestanden, dass sie noch blieb.
“Ich kann heute bestimmt noch etwas weibliche Unterstützung gebrauchen”, hatte Mary erklärt.
Grace hatte ihr angemerkt, dass sie bedrückt und traurig war, und es nicht über sich gebracht, die Einladung abzulehnen. Außerdem war sie nach Rands Abfuhr ohnehin unschlüssig, was sie jetzt unternehmen sollte. Sie hatte Mary von ihrem Anliegen erzählt und berichtet, wozu sie Rands Hilfe brauche.
Rand trat nun ins Zimmer. Er sah ein wenig anders aus als heute Mittag, wo sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte geduscht und sich rasiert, trug schwarze Jeans, ein weißes Hemd und darüber ein dunkles Jackett. Sein Blick streifte sie, er sagte jedoch kein Wort. Offensichtlich war er nicht davon begeistert, dass Mary sie eingeladen hatte.
Erneut musterte Rand sie eingehend, und sie merkte, dass ihr Körper sofort darauf reagierte. Sein Blick war aufreizend direkt, was sie vielleicht als unverschämt empfinden sollte, doch die Wahrheit war, dass ihr noch nie ein Mann begegnet war, der so viel Sex-Appeal besaß.
“Wie ich höre, bleiben Sie zum Essen?”, bemerkte er schließlich.
“Benimm dich anständig, Rand Sloan”, sagte Mary, die hinter ihm hereinkam. “Ich habe Grace eingeladen. Zu meiner Verstärkung gegen euch drei Männer im Haus.”
“Was denn für drei Männer?”, gab Rand zurück, und der Anflug eines spöttischen Lächelns huschte über sein Gesicht.
Grace sah ihn erstaunt an. Sie hätte nicht gedacht, dass er Humor hatte.
“Wenn du damit irgendetwas andeuten willst, können wir das draußen gern klären”, konterte einer der jungen Männer, die mit dem zweiten Pick-up gekommen waren, grinste dabei aber breit.
Er ging auf Grace zu und reichte ihr die Hand. “Ich bin Matthew Sloan”, begrüßte er sie freundlich. “Und das hier ist Sam.” Er deutete auf den Mann neben ihm.
Die Sloan-Brüder waren gut aussehende Burschen. Alle drei waren sich vom Typ ähnlich: dunkle Haare, dunkle Augen, groß und kräftig. Rand stach ein wenig heraus. Er war dunkler als Matthew und Sam und hatte von ihnen die ausgeprägtesten Gesichtszüge. Dagegen hatte er nicht das bezwingende Lächeln seiner Brüder. Rand scheint überhaupt so gut wie nie zu lächeln, dachte Grace.
“Grace Sullivan”, stellte sie sich vor und schüttelte Matthew und Sam die Hand. “Mein Beileid zum Tod Ihres Vaters.”
Ein paar Sekunden entstand ein betretenes Schweigen. Matt war es, der es unterbrach. “Nett, dass Sie bleiben konnten. Mal ‘ne hübsche Abwechslung zu Rands hässlicher Visage.”
Rand sah ihn scharf von der Seite an. Aber man merkte, dass er derlei Neckereien von seinen Brüdern gewohnt war und gutmütig aufnahm.
“Matt und Sam, bewegt euch in die Küche. Ihr müsst mir helfen!”, rief Mary dazwischen.
Die beiden Angesprochenen entschuldigten sich, gingen hinaus und ließen Rand und Grace allein.
“Vielleicht sollte ich in die Küche gehen und auch helfen”, meinte Grace und machte einen Schritt zur Küchentür.
Rand berührte sie am Arm, um sie zurückzuhalten. “Bleiben Sie nur. In meinem ganzen Leben hat meine Mutter noch nie Hilfe in der Küche gebraucht.”
Grace sah ihn fragend an.
“Sie möchte vermutlich, dass wir uns einen Augenblick allein unterhalten.”
“Ach so.” Sie lächelte unsicher. “Aber Sie möchten das doch bestimmt nicht.”
“So würde ich das nicht ausdrücken.”
Der Blick, mit dem Rand sie dabei ansah, ließ sie erbeben, und sie spürte noch den sanften Druck seiner kräftigen, warmen Hand auf
Weitere Kostenlose Bücher