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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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welche unglücklichen Verhältnisse ihn gerade in diese Bahn getrieben!«
    »Und doch fühlt er sich vielleicht vollkommen glücklich darin,« warf Melanie ein. »Wir dürfen andere nicht immer nach uns selber beurteilen. Eine andere Erziehung gibt dem Menschen doch auch sicher andere Ansichten über das Leben, und jeder hält die seinigen gewiß immer für die richtigen.«
    »Sein Ernst widerspricht dem,« entgegnete Graf Geyerstein. »Eher glaub' ich, daß sich die Dame glücklich in ihrem Berufe oder – ihrer Kunst fühlt – wenn wir es so nennen wollen.«
    »Es ist seine Frau?« sagte Melanie, leicht hingeworfen.
    »Ich glaube wohl – ich weiß es nicht,« erwiderte der Graf. »Sie trägt, dem Zettel nach, wenigstens seinen Namen,«
    »Vielleicht seine Schwester.«
    »Der Zettel sagt Madame Bertrand.«
    »Die Kleine kann aber kaum ihre Tochter sein; die Frau sieht dafür zu jugendlich aus. Wo sind Sie früher schon mit ihnen zusammengetroffen?«
    »Ich?« fragte der Rittmeister, »so viel ich mich besinnen kann, habe ich die Gesellschaft heute zum erstenmal gesehen.«
    »Sagten Sie mir nicht heute morgen, daß es eine alte Bekanntschaft sei?« fragte die Komtesse, und ihr Blick haftete dabei forschend auf den Zügen ihres Nachbars.
    »Ich wüßte nicht, Komtesse,« erwiderte der Graf. »So viel ich mich entsinne, sprach ich von einer Ähnlichkeit, und das begegnet uns ja oft im Leben, daß uns die Züge eines sonst vollkommen fremden Menschen irgendeine Erinnerung aus früheren Zeiten wecken, so wenig er selber auch mit ihnen im Zusammenhang steht. Ist Ihnen das noch nie vorgekommen?«
    »Mir? – ja – o ja. Ich habe mich dann geirrt. Ich glaubte, Sie sprächen von einer alten Bekanntschaft. Aber die Vorstellung beginnt wieder. Jene schrecklichen Menschen da oben in den alten, uniformierten Jacken nehmen ihre Marterinstrumente wieder zur Hand. Mir wirbelt der Kopf schon ordentlich von dem furchtbaren Lärm. Ob man uns damit einen Genuß bereiten will?«
    »Täuschen Sie sich darüber nicht, Komtesse,« lächelte der Rittmeister. »Was jene Leute Musik nennen, ist meist nur ein für die Pferde bestimmter, taktmäßiger Lärm, den sie vollführen. Schwiegen sie still, so würden auch die Tiere ihre Kunststücke nicht ausführen, zu denen sie den geräuschvollen Takt notwendig brauchen. Daß dieZuschauer gewöhnlich glauben, die Musik würde ihretwegen gemacht, ist ihre eigene Schuld.«
    »Dann werde ich mich künftig nicht mehr darüber beklagen,« lächelte Melanie. »Aber da beginnen sie wirklich ihre Pferdemusik schon von neuem, und jener gräßliche Gliederverrenker scheint seine Künste ebenfalls wieder produzieren zu wollen. Sehen Sie nur, Herr Graf, was dieser Bajazzo für ein fataler Mensch ist. Ein frecheres, widerlicheres Gesicht ist mir im ganzen Leben noch nicht vorgekommen. – Ob der Mann auch Familie hat?«
    »Und warum nicht?« erwiderte der Rittmeister. »In seinen Kreisen glänzt er vielleicht sogar.«
    »Und glauben Sie wirklich, daß sich ein Mädchen in solch ein – Geschöpf verlieben kann?«
    »Komtesse,« sagte achselzuckend der Rittmeister, »in jenen Kreisen kommt es oft auf Liebenswürdigkeit oder ehrenvolles Brot nicht an. Sobald der Mann nur eben sein Brot hat – sobald er imstande ist, eine Frau vor Mangel zu schützen – denn mehr verlangen solche Leute selten – sobald hat er auch Anspruch darauf, als gute Partie betrachtet zu werden – betrachtet er sich doch selber dafür. In welcher Achtung er bei seinen Nachbarn oder gar den höheren Schichten der Gesellschaft steht, was liegt ihm daran! Solange das Publikum, dem er seine Späße vormacht, darüber lacht, solange ihn sein Brotherr dafür bezahlt, solange er ein Mann ist, der seinen Platz in der menschlichen Gesellschaft – gleichviel, wie – ausfüllt: so lange hat er eben sein Brot. Hört das einmal auf, bricht er einen Arm oder ein Bein oder wird er sonst zum Krüppel, vielleicht gar krank – dann ist er eben verloren. Dann macht er Kollekten oder schickt die Frau betteln – aber das alles liegt für ihn noch in der Zukunft – liegt weiter als der nächste Tag, und was sollte er sich jetzt schon deshalb Sorge machen?«
    »Ein fürchterliches Leben!« sagte die Komtesse, zusammenschaudernd, »und doch klingt es, als ob es wahr sein könnte. Wo haben Sie nur einen so tiefen Blick in diesen Abgrund des Elends getan, Graf?«
    »Guter Gott,« sagte der Rittmeister, »ein Soldat verkehrt mit allerlei Ständen, und ohne

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