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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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Residenz macht, um sich dem Publikum vorzustellen. Letzte Woche hat er auf dem hochgespannten Seile getanzt, und diesen Abend wird die erste Vorstellung in dem erst heute fertig gewordenen Zirkus sein.«
    »Du bist ja sehr genau unterrichtet,« lächelte Melanie. »Haben Sie diesen Monsieur Bertrand schon gesehen, Herr Graf? Er soll in seiner Kunst ganz Ausgezeichnetes leisten.«
    »Noch nicht, Komtesse,« erwiderte der junge Mann. »Ich liebe derartige Kunststücke nicht, und das Seiltanzen vor allem ist mir das Verhaßteste, Entwürdigendste für den Menschen.«
    »Und weshalb? Gehört nicht ein außergewöhnlicher Mut dazu, um sein Leben in schwindelnder Höhe auf dem schwanken Seil zu wagen?«
    »Es ist das kein Mut mehr, den ich in dem Manne gewiß ehren würde,« erwiderte der Rittmeister, »sondern nur eine verzweifelte Tollkühnheit, welche Glieder und Leben um wenige Taler, oft um Groschen preisgibt; ja, nicht selten sogar kaum mehr als feige Furcht, durch Arbeit eine Existenz erringen zu müssen, die jedenfalls ehrenvoller wäre als solch ein Dasein.«
    »Sie urteilen zu streng.«
    »Ich glaube kaum. Es ist wenigstens meine Überzeugung.«
    »Und doch fühlen sich die Menschen glücklich in ihrem Berufe.«
    »Das kann ich mir kaum denken,« erwiderte kopfschüttelnd der Graf. »Äußerlich mag es allerdings so scheinen; wer sie aber beobachten könnte, wenn sie sich unbeachtet wissen, möchte doch wohl ein anderes Urteil über sie fällen. Aber da kommen sie; ich kann wenigstens die wallenden Federn eines Baretts oder Helms erkennen.«
    Hunderte von Menschen drängten indessen lachend und erzählend vorbei, um mit dem Zuge zu gehen und den Marsch mit anzuhören, den das gemietete Musikkorps blies, während andere wieder stehenblieben, die wunderlich gekleideten Gestalten an sich vorbeipassieren zu lassen. So etwas sahen sie nicht alle Tage.
    Und macht es nicht einen gar eigentümlichen Eindruck auf den Zuschauer, plötzlich, in dem wirklichen, bestimmt ausgesprochenen Alltagsleben, das ihn nach allen Seiten umgibt, und in dem ihn das geringste Außergewöhnliche schon störte, ja selbst im hellen, lichtenSonnenschein phantastisch aufgeputzten und geschminkten Menschen zu begegnen? Die unteren Schichten der Bevölkerung, mit den Kindern, freuen sich allerdings darüber. Sie sehen nur die äußere Hülle, das Flittergold und die wallenden Federn, die gestickten Wämser und bunten Farben. Den Gebildeten überkommt bei solchem Anblick aber fast immer ein eigenes unbehagliches Gefühl – nicht der Bewunderung etwa, sondern eher des Mitleids mit den Unglücklichen, die solcher Art, in ihrem glänzenden Elend, äußerlich stolz und guter Dinge, doch nur – »an der menschlichen Gesellschaft vorüber – den Pranger reiten.«
    Weit anders ist es mit der Bühne. Hier wird uns ein abgerundetes und in sich feststehendes Kunstwerk von Künstlern vorgeführt, und die phantastischen Trachten, die durch die Kulissen ihren wahren Hintergrund, durch die Lichter ihre richtige Beleuchtung erhalten, stören uns nicht, ja, sind sogar nötig, die Täuschung zu vollenden, die uns in andere Zeiten, andere Sitten versetzen soll. Ich rede hier freilich nicht von jener Entweihung der Kunst, dem neu aufgekommenen Unfug der Sommertheater, die zu den »Kunstreitern« schon den Übergang bilden. – Hier dagegen, wo die Häuser, in denen wir selber wohnen, den Hintergrund formen und wir in eigener Person, sobald solche abenteuerliche Gestalten zwischen uns und aus ihrem Rahmen heraustreten, Mitspieler in dem Drama werden, schaut uns der Ernst des Lebens nur so viel greller aus solchem Spottgebild entgegen.
    Aber ähnliche Gedanken erfüllten schwerlich die Herzen der lärmenden Schar, die gerade jetzt die Straße heraufgezogen kam, bis dicht am Café français vorüber, von wo aus man den bunten Trupp vollkommen gut übersehen konnte. Wenn auch das Volk – Arbeiter, Kindermädchen und Müßiggänger – einen festen Wall an der Seite bildete, so ragten die berittenen und phantastisch geschmückten Gestalten doch über die Köpfe dieser hoch hinaus. Voran ritten dem Zuge zwölf Trompeter in roten, abgetragenen und verschossenen, mit unechten Borden besetzten Uniformen, ungeschickte, hohe Tschakos mit roten und weißen Federbüschen auf dem Kopfe, und bliesen einen schmetternden Marsch. Der Zug wollte gesehen werden, und je mehr Lärm sie deshalb machten, desto besser. Unmittelbar hinter diesen folgte der Herr der Schar, der berühmte

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