Der kurze Sommer der Anarchie
Betrieb oder von der direkten Unterstützung durch die Gruppen an der Basis, für die sie tätig waren. Das ist kein unerhebliches Detail, sondern ein entscheidender Grund dafür, daß die CNT niemals von den Massen isolierte »Arbeiterführer« mit den herkömmlichen und unvermeidlichen Deformationen des Bonzentums hervorgebracht hat.
Die ständige Kontrolle von unten wurde nicht formal, durch Statuten garantiert; sie folgte aus den Lebensverhältnissen der Militanten, die auf das Vertrauen ihrer Basis unmittelbar angewiesen blieben.
Die hauptsächlichen Waffen der CNT, auf dem Land wie in der Stadt, waren der Streik und die Guerilla. Von der Arbeitsniederlegung bis zum Aufstand war es für die Anarchisten immer nur ein Schritt. Ihre Arbeitskämpfe wurden immer extrem betriebsnah geführt. Den reinen Lohnkampf zur Ausdehnung und Sicherung des »sozialen Besitzstandes« lehnte diese Gewerkschaftsbewegung ab. Sie wollte keine »Sozialleistungen« und keine Versicherungen haben, und sie schloß grundsätzlich keine Tarifverträge ab. Die zahlreichen Verbesserungen, die sie für die Arbeiter erzielte, erkannte sie immer nur de facto an. Auf Schlichtungsverhandlungen und Friedenspflichten, gleich welcher Art, ließ sich die CNT nicht ein. Sie verfügte nicht einmal über eine Streikkasse. Das hatte zur Folge, daß ihre Streiks nicht lange dauerten. Um so gewaltsamer wurden sie ausgetragen. Ihre Mittel waren revolutionär: sie reichten von der Selbstverteidigung bis zur Sabotage und von der Expropriation bis zum bewaffneten Aufstand. Damit stellte sich für die anarchistische Bewegung die Frage nach dem Verhältnis von legaler und illegaler Arbeit. Ein moralisches Problem war das unter den Bedingungen, die in Spanien gegeben waren, ganz und gar nicht; denn die herrschende Klasse hat sich auf der Iberischen Halbinsel nie die Mühe gemacht, auch nur die bürgerliche Fassade eines demokratischen Rechtsstaates aufrechtzuerhalten. Die Parlamentswahlen waren jahrzehntelang eine totale Farce; sie beruhten auf Stimmenkauf und Erpressung durch das Kazikensystem auf dem Lande und auf unverschämter Fälschung. Eine Gewaltenteilung im Sinn der liberalen Staatstheorien hat es in Spanien nie gegeben. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs existierte auch keine Sozialgesetzgebung, und die Gesetze, die danach erlassen wurden, blieben ohne Wirkung. Von Seiten der Unternehmer wie von seilen des Staates erfuhr die Arbeiterklasse alltäglich offenes Unrecht und unverhüllte Gewalt. Damit war für sie die Gewaltfrage beantwortet, ehe sie sich stellen konnte.
Allerdings war die CNT eine Massenorganisation, die ungeachtet aller Verbote nicht im Unsichtbaren operieren konnte. Ihre illegale Arbeit haben schon sehr früh geheime Kadergruppen wie die Solidarios übernommen: Selbstverteidigung, Waffenversorgung, Geldbeschaffung, Gefangenenbefreiung, Terrorismus und Spionage. 1927 wurde diese Arbeitsteilung mit der Gründung der Federacion Anarquista Iberica, der Iberischen Anarchistischen Föderation (FAI) formalisiert. Diese Organisation arbeitete grundsätzlich konspirativ. Weder über ihre Mitgliederzahl noch über ihre inneren Verhältnisse ist Genaues bekannt, doch war ihr Prestige unter den spanischen Arbeitern ungeheuer. Jeder, der ihr angehörte, war zugleich in der CNT organisiert. Die FAI bildete sozusagen den harten Kern der anarchistischen Gewerkschaften; sie bot zugleich die sichersten Garantien gegen opportunistische Anwandlungen und gegen die Gefahr des Abgleitens in den Reformismus. In dieser organisatorischen Struktur kam Bakunins Modell einer großen, spontanen Massenbewegung wieder zum Vorschein, als deren Kader eine feste und geheime Gruppe von Berufsrevolutionären am Werk ist. Über die FAI ist immer viel gefabelt worden. Es ist unvermeidlich, daß sich an den Nimbus einer geheimen Organisation allerlei Gerüchte heften. Von der bürgerlichen Schreckenspropaganda kann man dabei schon wegen ihrer offenkundigen Ignoranz absehen. (So behaupteten die Wortführer der Großgrundbesitzer noch 1936, die FAI stünde »im Solde Moskaus«.) Beachtung verdienen dagegen Zweideutigkeiten, die sich aus der Herkunft und der Struktur solcher konspirativer Vereinigungen ergeben. Die Gegner der Anarchisten haben immer wieder auf die »kriminellen Elemente« hingewiesen, die sich in der FAI, und zwar besonders in Barcelona, breitgemacht hätten. Eine politische Einschätzung kann sich aber mit dem Hinweis auf das Strafgesetzbuch nicht begnügen. Die
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