Der kurze Sommer der Anarchie
Sie sagten, ich sehe Schreckgespenster. Ein paar Jahre später sollte sie ihre Sorglosigkeit teuer zu stehen kommen.
Louis Lecoin
Jeden Sonntag hielt die FAI ein Meeting in den großen Sälen des Montjuich-Parkes ab. Als Redner traten fast jedesmal Cano Ruiz, Francisco Ascaso, Arturo Parera, Garria Oliver und Durruti auf. Zu den ersten Veranstaltungen kamen nur ein paar hundert Zuhörer. Als sich herumsprach, was die Redner, vor allem Garria Oliver und Durruti, zu bieten hatten, reichten die Säle bald nicht mehr aus. Sonntag für Sonntag fanden sich Tausende und Abertausende von Arbeitern ein. Durruti war kein außerordentlicher Redner. Seine Ansprachen wirkten fast immer unzusammenhängend; er verstand sich nicht auf die Kunst der Rhetorik. Und doch kamen die Leute vor allem, um ihn zu hören. Seine starke, klare Stimme wirkte suggestiv auf die Massen. Er sprach sehr einfach, ohne Verzierungen. Es war sein heftiges und überströmendes Gefühl, das die Menge anzog.
Eines Tages luden die Genossen aus Gerona Durruti zu einer Kundgebung ein. Nachdem er gesprochen hatte, wurde er an Ort und Stelle verhaftet, immer noch unter der Beschuldigung, er habe in Paris ein Attentat gegen Alfons XIII. vorbereitet. Die Staatsanwaltschaft hatte offenbar nicht bemerkt, daß die Monarchie gestürzt und eine Generalamnestie ergangen war. Die Bevölkerung von Gerona erhob sich. Es kam zu verschiedenen Versuchen, das Gefängnis zu stürmen und Durruti zu befreien. Die Arbeiter riefen den unbefristeten Generalstreik aus; die Behörden verhängten den Ausnahmezustand. Nach drei Tagen Streik wurde Durruti freigelassen.
Auch in Barcelona kam es am 1. Mai 1931 zu einem Aufstand. Im Palast der Schönen Künste wurde eine Versammlung abgehalten, an der viele politische Gefangene teilnahmen, die durch die Amnestie freigeworden waren.
Es wurden Resolutionen gefaßt, die dem Präsidenten von Katalonien, Francisco Maciä, überbracht werden sollten. Ein riesiger Demonstrationszug bildete sich, an dessen Spitze Garcia Oliver, Durruti, Ascaso, Santiago Bilbao und andere Führer der CNT-FAI gingen: die erste große Heerschau des Proletariats seit der Verkündung der Republik. Der Zug bewegte sich durch die Hauptstraßen der Stadt. Als er vor dem Palast der Regierung, der Generalität von Katalonien, angekommen war, eröffnete die Polizei das Feuer. Arbeiter und Polizei wechselten Hunderte von Schüssen. Die Lage wurde so ernst, daß die Armee eingriff. Eine Abteilung von Soldaten erschien auf dem Platz der Republik. Sofort hielt Durruti eine Rede an die Soldaten. Als die Guardia Civil und die Bereitschaftspolizei von neuem auf die Demonstranten losgehen wollten, richteten die Soldaten ihre Waffen auf die Polizei. So wurde ein Massaker vermieden. Dieser Zwischenfall ist symptomatisch für die verkehrte Politik der Republik von 1931. In der Staatsbürokratie saßen immer noch die gleichen Leute, die zuvor der Monarchie gedient hatten. Der Befehl über die Streitkräfte lag in der Hand der Reaktionäre. Die Republik war zu keiner Sozialpolitik fähig, die den Interessen der Arbeiterklasse gedient hätte. Das Regime hatte seine Form geändert, aber es blieb alles beim alten, wie zu den Zeiten Alfons XIII. Die Unzufriedenheit des Volkes wuchs mit jedem Tag.
Unter der Republik gab es eine ganze Reihe von erbitterten Auseinandersetzungen im revolutionären Klassenkampf.
1932 streikten die Bergleute von Figols in den katalonischen Bergen. Der Streik nahm die Dimensionen eines regelrechten Aufstandes an.
Alejandro Gilabert
Im Januar 1933 erhoben sich die Arbeiter wieder, hauptsächlich in Katalonien, aber auch in Andalusien. Ich erinnere nur an die Tragödie von Casas Viejas. Im Dezember desselben Jahres brach eine Rebellion in Aragon und in einem Teil Kastiliens aus, und 1934 kam es zur Asturischen Revolution, der ersten revolutionären Bewegung, bei der Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten gemeinsam vorgingen, und bei der sich die beiden großen Gewerkschaftsorganisationen Spaniens, die CNT und die UGT, unter der Losung Vereinigt euch, proletarische Brüder zusammentaten.
Die Wahlen vom Februar 1936 brachten endlich eine Mehrheit für die Linke. Dabei spielte die Frage einer Amnestie für die vielen politischen Gefangenen eine große Rolle. Die CNT ist immer gegen den Parlamentarismus aufgetreten, aber diesmal gab sie die Parole aus: Jeder soll wählen oder nicht wählen, wie er will. Und fast niemand hat die Wahlen boykottiert. Damit war damals
Weitere Kostenlose Bücher