Der Kuss der Göttin (German Edition)
wichtig gehalten; ein Erinnerungs-Sog durch eine Schöpfung aus irgendeinem deiner Leben müsste eigentlich alle anderen Erinnerungen auch wiederherstellen. Aber ich habe es trotzdem zur Sicherheit aufgehoben. Und jetzt?« Sie hebt die Wimpern und zeigt eindringliche blaue Augen. »Ich weiß nicht, ob du dich an dieses Leben erinnern willst oder nicht. Was auch passiert ist, das dich so paranoid gemacht hat – du hast es uns nicht erzählt. Vielleicht bleibt es besser vergraben. Aber ich denke, diese Wahl solltest du für dich selbst treffen.«
Ich habe Angst, die Hand auszustrecken, aber ich muss es auch nicht. Sammi schüttelt schon den Kopf.
»Fass es nicht an«, sagt sie. »Schau es nicht einmal an. Erst, wenn du beschließt, dass du es willst. Diese Erinnerungen sind vielleicht irgendwo in deinem Kopf – aber wenn Elizabeth recht hat, brauchst du das hier vielleicht, um Sonyas Erinnerungen zurückzubekommen. Ich stecke es hier hinein.« Sie schiebt einen Plastikbeutel in eine kleine Seitentasche meines Rucksacks. »Jetzt liegt es an dir.« Dann, bevor ich ihr Geständnis überhaupt verarbeiten kann, geht sie.
»Ich rufe den Pilot und lasse ihn die Startvorbereitungen treffen. Schnapp dir, was du mitnehmen willst, aus dem Auto, das ihr geliehen habt«, ruft sie über die Schulter zurück. »Wir lassen es hier. Vielleicht findet es seinen Weg nach Hause.«
Ich drehe mich zu Benson um und lehne die Stirn an seine Schulter, ziehe Kraft aus ihm, während er die Arme um mich legt und mich an sich zieht. Ich habe das Gefühl, als hätte mein Körper keine Energie mehr nach allem, was ich heute gehört und gelernt habe.
Ach, was sage ich: in den ganzen letzten Tagen.
Er ist meine Verbindung zur Realität. Nein, mehr als das – zu meiner geistigen Gesundheit.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gebe ich zu, die Lippen dicht an seinem Ohr.
»Fangen wir damit an, deine Sachen einzusammeln«, flüstert er. »So bist du bereit, wenn du weglaufen willst. Aber« – er zögert – »wenn du es wirklich immer noch willst, ist es am besten, wir gehen heute Abend mit ihnen und laufen morgen weg. Wenigstens sind wir dann Tausende Kilometer weit weg.«
»Verzeih mir, wenn ich deine Zuversicht nicht teile, dass ein Flugzeug uns sicher irgendwo hinbringen wird«, sage ich düster.
Er drückt verstehend meine Hand, bevor er sich zur Mittelkonsole vorbeugt und sein Handy hervorholt. Einen Moment blickt er darauf, dann wird sein Gesichtsausdruck hart, und er wirft es, so weit er kann, zwischen die Bäume.
Ich belausche Sammi, während ich meinen Rucksack zum Bersten mit all den Dingen aus der Erdhöhle und den Tagebüchern vom Vordersitz fülle. Ich schaue auf, als Mark flucht. Er starrt auf sein klingelndes Telefon, geht aber nicht ran. »Es ist schon wieder Daniel. Irgendwann werde ich rangehen müssen. Was soll ich ihm sagen?«
»Alles, nur nicht die Wahrheit«, sagt Sammi ironisch.
»Wer ist Daniel?«, frage ich. Ich erinnere mich an den Namen aus dem Gespräch in ihrem Schlafzimmer wieder, das ich belauscht habe.
Auch ein Gespräch, in dem es darum ging, die Wahrheit vor diesem Daniel zu verbergen.
»Ein hohes Tier bei den Curatoria«, antwortet Elizabeth für Sammi.
Mein Herz hämmert warnend. »Warum vertraut ihr ihm dann nicht?«
Die drei Erwachsenen werfen sich Blicke zu und sagen nichts.
»Oh bitte«, sage ich so bitter, dass alle drei die Köpfe zu mir herumreißen. »Wir sind in dieses Schlamassel geraten, weil ihr nicht mit mir reden wolltet. Habt ihr nichts dazugelernt?«
Sammi nickt und winkt mich näher. »Wir sind auf Anzeichen von Korruption gestoßen, sozusagen … unter den höheren Chargen der Curatoria. Vor allem, was deinen Fall angeht.«
Ich denke an den Sonnenbrillentyp, ganz zu schweigen von allem anderen, was seither passiert ist. Ich war sicher, es seien Reduciata-Mörder, und Sammi deutete das auch an. Haben wir uns beide geirrt? Ich knirsche mit den Zähnen und wünsche mir, ich könnte mich erinnern, was ich laut den Reduciata wissen soll – um was auch immer es sich handelt.
»Also versuchen wir, nur um sicherzugehen, unsere Pläne so weit wie möglich vor ihnen geheim zu halten. Sogar die sechs Bewaffneten, die ich mitgebracht habe«, sagt sie mit einer Geste zu den Bäumen hin, »sind alte Freunde meines Vaters, die wissen, wie man seinen Vorgesetzten etwas verschweigt. Wir könnten mit alledem auch falschliegen«, beeilt sich Sammi hinzuzufügen. »Aber wir wollen dich nicht
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