Der Kuss der Russalka
Fischerjungen liebt! Darauf kannst du in alle Ewigkeit warten. Nun, ich bleibe lieber bei Christine!«
»Und sie lebten glücklich und häuften großen Reichtum an«, spottete Jewgenij. Er klang verärgert. Hastig stand er auf und ging zu seinem Boot. »Hast du ein Messer dabei?«, fragte er barsch.
Johannes fuhr mit der Hand in seine Hosentasche, fühlte das abgegriffene Leder der Hülse und nickte.
»Dann komm«, sagte Jewgenij. »Oder fürchtest du dich auch vor toten Fischen?«
* * *
Seit Johannes’ Besuch bei Dr. Rosentrost waren die Bauarbeiten der Peter-und-Paul-Festung vorangetrieben worden. Schon vom Lastkahn aus konnte Johannes die Fortschritte erkennen. Die ersten Grundmauern wuchsen aus dem Boden und die Befestigung und Aufschüttung ließ schon jetzt die imposante Größe der späteren Festung erahnen. Die Schläge der Steinmetze hallten durch die Luft und die Baumeister und ihre Gehilfen wimmelten wie Ameisen auf der entstehenden Festung. Mit Knutenschlägen und Gebrüll trieben die Aufseher die Leibeigenen zur Arbeit an.
An diesem Tag räkelte sich die Newa träge in einer diesigen Augustsonne. Der Fährkahn, auf dem Johannes saß, lag tief im Wasser. Sorgfältig hatte Johannes die Gerüststreben zusammengebunden, deren Aufbau er heute anleiten würde. Es freute sich darauf, den Tag nicht in der Werkstatt verbringen zu müssen. Unauffällig hatte er nach der Russalka Ausschau gehalten, aber heute war der Fluss bis auf das Heer von Lastkähnen und Booten unbewohnt. Zar Peter war nach Moskau gereist. Doch auch in seiner Abwesenheit liefen die Arbeiten weiter wie ein Fuhrwerk, dessen Zugpferde sich auch ohne die Peitsche ihres Herrn mit aller Kraft ins Geschirr legten. Sehnsüchtig blickte Johannes zum Hafen. Nur wenige Schiffe lagen heute vor Anker. Für einige verträumte Augenblicke stellte er sich vor, wie er auf seinem Schiff stand – eine aus Holz geschnitzte Nixe als Galionsfigur am Bug, prächtige große Rahsegel gebläht im Wind. Er würde hinausfahren auf die Ostsee und von dort die Küsten entlang bis in die Gefilde, die noch niemand kannte. Die Russalkas würden ihn begleiten – glänzende Gestalten, die auf der Bugwelle ritten. Er schreckte auf, als eine Welle gegen die Kahnwand schwappte. Ein Schiff strich an ihnen vorbei, die Segel gebläht – ein Zweimaster, an Bord waren Soldaten.
Es war nicht ganz einfach, die Holzplanken am Newator auszuladen, aber die Schauerleute verstanden ihr Handwerk und wuchteten auf Johannes’ Anweisung die Gerüste an Land. Sogar ein Karren, auf dem sonst nur Steine transportiert wurden, stand bereit, da die Bauteile für das Gerüst ein ganzes Stück gefahren werden mussten.
»Ah, da bist du!«, rief Carsten Sund ihm zu und strahlte über das ganze runde Gesicht. »Wir müssen schnell arbeiten, Trezzini will das Gerüst vor Sonnenuntergang sehen.«
Die Arbeit war schwer, aber die Sonne schien, das Rauschen des Flusses umhüllte ihn, Carsten Sunds Leute hörten auf seine Befehle und die Gerüstwinkel passten bis auf ein Haar genau. Gute Arbeit war es und für einige Stunden vergaß Johannes die Katzen, die Verschwörung, sogar die Russalka. Flink kletterte er auf die oberen Plattformen, um die Querbretter einzuziehen, und hatte plötzlich einen guten Blick auf das Kronwerk, die Verteidigungsmauer, die der Haseninsel vorgelagert war. Als die Sonne schon tief am Himmel stand, machten sie Rast und Carsten Sund packte gebratene Hasenkeulen und kalten Kohl aus. Er drückte Johannes sogar einen geschliffenen Kristallbecher mit Wein in die Hand und stieß mit ihm an. »Auf viele Aufträge, Johannes! Du arbeitest gut, ich hoffe, dein Onkel bezahlt dich angemessen.«
Johannes, der eben an dem Wein hatte nippen wollen, ließ erstaunt den Becher sinken. Noch nie war er auf den Gedanken gekommen, von seinem Onkel einen Lohn einzufordern. »Nun, ich lebe und esse bei ihm. Ich bin sein Lehrjunge, noch nie habe ich gehört, dass ein Lehrjunge eine Bezahlung einfordert. Gewöhnlich zahlt man seinem Meister Lehrgeld.«
Sund lachte diebisch und klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Guter Mann. Aber sieh dir das Gerüst doch einmal an: Du bist längst kein Lehrjunge mehr. Außerdem kannst du schnitzen, rechnen, sogar drechseln! Und du hast ein Auge für die Schönheit der Formen. Es wird Zeit, dass du auf eigenen Beinen stehst. Jede Schuld ist einmal beglichen und du könntest viel verdienen. Soll ich mit Michael reden?«
Johannes wurde rot und zögerte.
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