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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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abgeben, wo ein Schreiber die Meldungen entgegennahm. Er fasste Mut, drehte sich auf dem Absatz um und ging schnurstracks auf das lang gezogene Holzgebäude zu.
    »Ein Brief für Oberst Derejew«, murmelte er, als ein Soldat ihm den Weg versperrte. »Von Michael Brehm, dem Tischler. Oberst Derejew kennt ihn.«
    Der Soldat runzelte die Stirn und streckte die Hand nach dem Brief aus. »Eine Meldung?«, fragte er argwöhnisch.
    »Ganz recht.« Johannes richtete sich so gerade wie möglich auf. Manchmal fühlte es sich sehr gut an, seine Gesprächspartner fast um einen Kopf zu überragen. Dem Soldaten schien es dagegen nicht besonders zu gefallen, aber er nahm den Brief entgegen und machte eine Geste, die besagte, dass Johannes sich entfernen solle. Erleichtert wandte sich Johannes ab. Das Kribbeln in seinem Nacken sagte ihm, dass der Soldat ihm nachblickte, dann hörte er Gemurmel und das Scharren von Soldatenstiefeln. Als er sich schon außer Sichtweite glaubte, spießte sich ein Befehl in seinen Rücken. »Stehen bleiben!«
    Kein Zweifel, er war gemeint. Seine Hände fühlten sich plötzlich taub an. Es war schwer, gegen den Impuls anzukämpfen, einfach wegzulaufen, aber die mahnende Stimme einer sehr vernünftigen Person in seinem Inneren schalt ihn und betonte immer wieder, dass er nichts zu befürchten hatte. Langsam drehte er sich um. Der Soldat winkte ihn heran. »Hierher«, befahl er.
    Zögernd setzte sich Johannes in Bewegung. Noch bevor er bei dem Soldaten angelangt war, drehte sich dieser in der Tür um und bedeutete Johannes ihm zu folgen. Mit gemischten Gefühlen betrat Johannes das Kommandantenhaus. »Was ist?«, fragte er den Rücken des Soldaten.
    In diesem Augenblick blieb der Mann schon vor einer Eichentür stehen. »Oberst Derejew will dich sehen«, sagte er knapp, öffnete die Tür und zeigte mit einer knappen Geste in den Raum. Johannes schluckte. Das Blut wich aus seinen Wangen, aber er versuchte sich an einem höflichen Nicken und folgte der Aufforderung. Im nächsten Augenblick klappte die Tür zu und er war allein. Der Raum war schlicht, aber teuer ausgestattet. Die Täfelung war frisch poliert und duftete nach einem harzigen Wachs. Der Tisch, der am Fenster stand, war einfach, aber sehr schön gearbeitet. Johannes schätzte, dass das billigere Blindholz zwischen den Edelhölzern aus Tanne bestand. Verschiedene Hölzer bildeten ein Muster. Nussbaumfurnier hob sich von Ahorn ab. Ein Tischler musste gut daran verdient haben. Gerne hätte Johannes sich die Maserung der Tischplatte angesehen, aber es lag eine ausgebreitete Karte darauf, die Schweden zeigte, die Spitze der Ostsee und ein Stück von Livland, das ebenfalls zu Schweden gehörte. Linien und Pfeile waren darauf abgebildet, außerdem militärische Kürzel, die Johannes nicht entschlüsseln konnte. Mit farbiger Tusche waren zudem einige Zeichen in der Newamündung eingetragen. Nachlässig auf den Tisch geworfen lag außerdem ein noch verschlossener Brief. Das Siegel war von der Ecke einer Landkarte verdeckt, sodass er es nicht erkennen konnte. Im ersten Augenblick dachte Johannes, es sei Marfas Schreiben, aber dann erkannte er eine Schrift, die viel steiler und kantiger war als Marfas runde Buchstaben. Bevor er entziffern konnte, von wem der Brief kam, hörte er, wie die Tür aufging, und fuhr herum.
    »Ich grüße Euch, Oberst Derejew«, sagte er so höflich, wie er es gelernt hatte, und verbeugte sich. Der Oberst nickte ihm kurz zu und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. Seine Stiefel schlugen auf die Holzdielen wie Hämmer. Mit Schwung ließ er sich auf dem Stuhl nieder und warf Marfas Brief auf die Landkarte. Er war ungeöffnet. Die Pause, die entstand, war unangenehm. Derejew würde ihn nicht auffordern sich zu setzen, begriff Johannes. Es ärgerte ihn, dass der Oberst ihn wie einen Bediensteten behandelte. Gut, sein Gegenüber schweigend und geheimnisvoll anstarren konnte er ebenfalls. Er hob den Blick und hielt der Musterung stand.
    Zum ersten Mal konnte er Oberst Derejew genauer betrachten. Er war ein Bojar, ein Vertreter des alten Adels in Russland, so viel wusste er. Aber im Gegensatz zu vielen Bojaren, die zu den Altgläubigen zählten und sich gegen alle Veränderungen wehrten, die der Zar in seinem Reich durchsetzte, schien sich Derejew in der neuen Zeit gut zurechtzufinden. Er zahlte keine Bartsteuer, um wie die alten Popen und Würdenträger seinen Bart behalten zu dürfen, sondern war rasiert. Wie der Zar so trug

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