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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Onkel Michael verzog das Gesicht, aber er muckte nicht auf, als der Arzt seinen Arm hin und her bewegte, die Beweglichkeit des Schultergelenkes prüfte und die geschwollenen Gelenke begutachtete. Zum ersten Mal fiel Johannes auf, wie alt sein drahtiger Onkel geworden war. Kein Wunder, dass er die Arbeit nur mühsam bewältigte.
    »Die Stadt ist nichts für dich«, sagte Thomas Rosentrost schließlich. »Die Feuchtigkeit zieht dir jede Wärme aus dem Körper. Deine Gelenke sind aufgeschwemmt.« Unter dem besorgten Blick von Marfa holte er die Schröpfkellen heraus und begann sie anzusetzen.
    An diesem Abend bekam Johannes keine Gelegenheit, seinen Onkel nach der Kiste zu fragen. Am nächsten Tag hatte Michael Fieber und Marfa hielt jeden von ihm fern. Mehrmals ging Johannes unter einem Vorwand zum Newaufer, aber die Russalka ließ sich nicht blicken. Nur einmal sah er einen Aalschwanz, der für den Bruchteil einer Sekunde auf das Wasser schlug. Spürten die Wasserwesen, dass Johannes in Gefahr war? Schließlich machte er sich auf die Suche nach Jewgenij. Seinen struppigen schwarzen Haarschopf entdeckte er in der Nähe einer Anlegestelle. Gerade verkaufte Jewgenij ein paar Fische an die Frau eines Kanalbauers und Johannes ging ohne zu zögern auf ihn zu. Er hatte noch einige Kopeken in der Tasche, die er nun hervorzog. Jeder, der ihn beobachtete, würde glauben, dass er für Marfa Fisch kaufen wollte. Jewgenijs Gesicht hellte sich bei seinem Anblick auf.
    »Brehmow«, sagte er leise. »Wo warst du?«
    »Gib mir einen Fisch. Irgendeinen«, erwiderte Johannes. »Und wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht. Ich werde beobachtet.«
    Jewgenij gehorchte prompt und Johannes liebte ihn beinahe dafür, dass er so scharfsinnig war und keine Fragen stellte.
    »Von Mitja? Allerdings! Die Russalka hat ihm aufgetragen auf dich aufzupassen.«
    »Nicht Mitja«, sagte Johannes und musterte den großen gefleckten Fisch, den Jewgenij ihm hinhielt, mit gespielt fachmännischem Blick. »Oberst Derejew. Es ist wirklich eine Verschwörung im Gange und Derejew steckt mittendrin.«
    Jewgenij überspielte sein Entsetzen gut. »Warum meldest du es nicht?«
    »Und die Russalkas?«, erwiderte Johannes. »Sie sind Teil der Verschwörung. Derejew würde sie verraten, dann lässt der Zar jede einzelne von den Nixen aus dem Fluss ziehen. Solange Derejew glaubt, sein Plan entwickelt sich wie vorgesehen, wird er schweigen. Ich muss herausfinden, wie dieser Plan genau aussieht.«
    »Das heißt, unsere Wege trennen sich?«, fragte Jewgenij nüchtern.
    Johannes gab es einen Stich. »Nein. Für eine Weile vielleicht. Ich will die Russalkas nicht in Gefahr bringen. Und … euch auch nicht. Ich werde beobachtet. Und dich bitte ich – halte dich von der Stadt fern. Zumindest für ein paar Tage.« Er zog das Geld hervor und zählte es umständlich. »Ich komme zur Weide, sobald ich kann«, murmelte er.
    »Ritze ein Kreuz in die Rinde, dann werde ich in der nächsten Nacht dort sein«, gab Jewgenij zurück.
    »Gut. Wie viel Kopeken?«
    Jewgenij sah ihn mit spöttischem Staunen an. »Ich bin ein Fischer, kein Sklaventreiber. Von meinem Gehilfen verlange ich kein Geld.« Er streckte die Hand aus und grinste. »Nun zeig, ob du ein Taschenspieler bist, und tu so, als ob du mir Geld gibst.«
    Johannes dachte an Jewgenijs Großmutter und drückte Jewgenij alle Kopeken, die er besaß, in die Hand. Bevor sein Freund etwas erwidern konnte, hatte er sich umgewandt und ging ohne sich umzusehen weiter. Es fiel ihm unendlich schwer, den Freund zurückzulassen. Nun war er wieder einmal allein.
    * * *
    Schließlich, als das Fieber und die Schmerzen in Michaels Schulter dank Rosentrosts Behandlung endlich nachgelassen hatten, gelang es Johannes, ihn in der Werkstatt abzupassen. Michael war verblüfft den Brief zu sehen, dessen Existenz er längst vergessen hatte, dann betrachtete er mit konzentriertem Gesicht die Zeichnung der Kiste. Marfa beugte sich über seine Schulter und studierte die Schrift. Johannes wusste, dass sie kein Wort lesen konnte, schließlich war der Brief nicht in Kyrillisch verfasst.
    »Für wen ich die Truhe damals angefertigt habe, willst du wissen?«, murmelte Michael. Seine Stirn lag in tiefen Falten. Ratlose Stille senkte sich über die Kammer. »Es ist lange her, ehrlich gesagt kann ich mich an den Namen nicht erinnern. In jener Zeit habe ich unzählige Truhen gemacht.«
    »Es muss ein Adliger gewesen sein.«
    »Natürlich«, warf Marfa ein. »Wer

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