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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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herum. Schneller, als Johannes denken konnte, zuckte ein Messer durch die Luft. Einen Lidschlag später sauste es an Johannes’ Arm vorbei, dann hatte er dem Narren die Waffe schon aus der Hand gewunden. In hohem Bogen flog das Messer davon. Mitja heulte auf. Sofort ließ Johannes ihn wieder los. Seine Hände zitterten. »Mitja, bist du verrückt?«, zischte er und wurde sich im selben Moment bewusst, wie aberwitzig diese Frage war. »Ich bin es!«
    »Katzen und Ratzen«, erwiderte Mitja mürrisch. Abwesend betrachtete er Johannes’ Handfläche. Erst jetzt bemerkte auch Johannes das Pochen und sah, dass das Messer ihm einen winzigen Schnitt beigebracht hatte. Ein perfekter Blutstropfen quoll hervor und bildete eine große Perle. Mitjas Augen wurden groß. Dann strahlte er Johannes an, als hätte er ihn eben erst erkannt. Johannes kämpfte seinen Ärger nieder und zog mit seiner unverletzten Hand die Zeichnung aus der Tasche. »Hier!«, raunte er. »Sieh dir das an – hast du davon geträumt?«
    Mitja sah verständnislos die Zeichnung der Kiste mit dem fliegenden Fisch an und zuckte die Schultern. Das Messer, woher er es auch immer hatte, war völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden. »Den Schatz hält eine Affenfaust«, sang er vor sich hin. »Die Faust steckt in einer Muschel, die es nicht gibt. Die Muschel befindet sich in einem Beutel aus gelbem Samt, der Beutel in einem Kästchen und das Kästchen in einer Truhe, die das Bild eines geflügelten Fisches trägt.«
    Also doch, dachte Johannes. Es ist das richtige Wappen und die Truhe.
    »Und der Schatz, was ist der Schatz?«
    »Was ist der Schatz?«, sang Mitja weiter.
    Johannes ließ sich nicht täuschen. Der Narr verstand ihn genau. Mitja war bei weitem nicht so verrückt, wie alle dachten. Hinter dem Wahnsinn arbeitete ein wirrer, aber scharfer Verstand.
    »Du und ich«, sang der Narr. »Wir haben Wein getrunken in des Zaren Kammer … schön bist du, schön, Baba Jaga Knochenbein!« Er knüllte das Papier zusammen und machte Anstalten, es sich in den Mund zu schieben.
    »Halt!«, rief Johannes und packte Mitja am Arm.
    »Spiele nicht dieses Spiel mit mir. Deine Russalka wird sterben, wenn du mir nicht hilfst. Geht das in deinen Kopf?«
    Mitjas Augen waren Quecksilbertropfen auf einem hellen Teller. Plötzlich begann er zu weinen. Mit angewidertem Gesicht machte er sich von Johannes los und kauerte sich zusammen. Er wiegte seinen Körper vor und zurück, vor und zurück.
    Johannes richtete sich auf, das Papier in seiner Hand war zerknittert und nun auch noch mit seinem eigenen Blut beschmiert. Er steckte seinen Finger in den Mund und leckte das Blut ab. Als er den Finger wieder ansah, bildete sich kein Tropfen mehr auf der Fingerkuppe, sondern nur ein kriechender roter Strom. Blutperle, dachte er. Der Gedanke klickte in seinem Kopf wie ein Räderwerk, das einrastete. »Ist der Schatz eine Perle? Es muss eine Perle sein! Du hast sie mir gezeigt damals, als du gestolpert bist und dich verletzt hast.«
    Der Narr schüttelte heftig den Kopf, bis Johannes schon befürchtete, ihm würde schwindlig werden und er könnte einfach umfallen. Erst nachdem Johannes ihn am Arm ergriffen hatte, beruhigte er sich wieder und blinzelte.
    »›Der Schatz leuchtet an der Krone des Himmels?‹«, flüsterte Johannes ihm eindringlich zu. »Das hast du zu mir gesagt. ›Der Fisch, der Wolken küsst, verschlingt sie.‹ Damit hast du den geflügelten Fisch gemeint, nicht wahr? In dieser Truhe liegt sie. Die Perle.«
    Mitjas Augen wurden groß. »Sie ist rot!«, rutschte es ihm heraus, dann schlug er sich ertappt die Hand auf den Mund

Babajaga Knochenbein
    Unmerklich rückten die ausländischen Handwerker näher zusammen. Man traf sich abends, mutmaßte über die neuesten Pläne und redete sich die Vorfälle mit den ertränkten Katzen so lange schön, bis sie zu Anekdoten wurden. Später, wenn die Kinder und Enkel mit der neuen Stadt wuchsen, würde man sich diese seltsame Geschichte am Feuer erzählen – nachts, wenn draußen die Winterstürme tobten und Schneemassen das Newadelta zuschütteten. Aber noch war es Sommer und die Stadt würde viele Jahre brauchen, um zu wachsen. An einem dieser Abende bekamen Michael und Marfa Besuch von Thomas Rosentrost. Als Johannes aus der Werkstatt kam, saß der Arzt am Feuer und begutachtete den bloßen Rücken des alten Handwerkers. Wie die Erhebungen knotiger Wurzeln standen die Wirbelknochen hervor, die Thomas Rosentrost nun abtastete.

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