Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
Antwort von Onkel Michael zu achten, schoss der große Mann zum nächsten Tisch und wischte alles, was darauf lag, zur Seite. Zeichnungen, Holzkisten und ein Hammer rutschten an den Rand des Tisches. Klappernd fiel eine Kiste mit Nägeln zu Boden. Alle Gehilfen sprangen herbei und sammelten sie eilfertig wieder auf.
    »Sieh dir das an, Michail!«, rief er. »So heißt du doch, oder? Michael?«
    Johannes’ Onkel verbeugte sich wieder. »Ja, Eure Majestät. Michael Brehm, Tischler und Zimmermann. Aus der Nähe von Magdeburg.«
    »Ein Preuße also.« Der Zar musterte ihn wohlgefällig und lächelte. Dann wandte er sich wieder seinem Papier zu. »Sieh dir das hier an. Kannst du das hier für eine meiner neuen Korvetten machen?«
    Johannes streckte sich unauffällig und erhaschte einen Blick auf die Zeichnung einer Bordkanone, die von einer ungewöhnlich hohen Stützkonstruktion getragen wurde. Gleichzeitig fiel ihm auf, wie kräftig die Finger des Zaren waren. Mit einem Schaudern dachte er an die Geschichte, dass der Zar mit bloßen Händen einen Silberteller zusammenrollen konnte. Onkel Michael war aschfahl geworden. Johannes konnte sehen, dass es ihm nicht behagte, Gerätschaften für den Krieg herzustellen. Aber es war eine großartige Chance, direkt für den Zaren zu arbeiten. Gleichzeitig fielen ihm Derejews Worte wieder ein: »Wer nahe am Feuer, der nahe am Brand.«
    »Ja, Eure Majestät«, sagte Michael knapp. Trotz der Ruhe, die er ausstrahlte, bemerkte Johannes ein Pochen, das sein straff gespanntes Hemd an der Brust bewegte. Michaels Herz schlug bis zum Hals.
    Zar Peter lachte. Seine Hand sauste auf Onkel Michaels schmerzende Schulter herab. Johannes konnte sehen, wie sein Onkel leicht in die Knie ging. »Nichts anderes habe ich erwartet!«, rief der Zar. »Ich brauche sechs davon, du bekommst die Maße. Komm morgen zur Werft und schau dir die Kanonen an. Und nun lass sehen, was du sonst noch hier hast!« In seiner Begeisterung und Unternehmungslust, die er nun versprühte wie ein Feuer die Funken, wirkte er jünger als die vierunddreißig Jahre, die er zählte.
    Hinter Johannes ertönte ein Rascheln. Während Onkel Michael dem Zaren seine Baupläne zeigte und die Vorzüge der Werkbank erklärte, die er selbst angefertigt hatte, ging Johannes zu seiner Hobelbank zurück. So als wollte er die Bank freiräumen, nahm er die Kiefernholzplatte und stellte sie vor Iwans Tisch ab. Mit roten Flecken auf den Wangen und einem reizenden Lächeln tauchte Marfa in der Werkstatt auf und kredenzte den teuren Tokajer, den sie für Gelegenheiten wie diese ebenso gut hütete wie die Geldkassette.
    Der Zar strahlte sie an und griff nach der zierlichen Trinkschale aus Bergkristall. Sie thronte auf einem Silberfuß in Form einer Blüte und verschwand beinahe völlig in seiner großen Hand. »So liebe ich es. Gönnt Petruschka ein Glas Wein! Und gib diesem unsäglich dicken Sund auch noch einen!«, befahl er. Carsten Sund sprang herbei und bedankte sich überschwänglich, dann prosteten sie sich zu. Sowohl Sund als auch Michael achteten peinlich genau darauf, erst nach dem Zaren die Schale an die Lippen zu setzen.
    Über den Kristallrand hinweg erblickte der Zar Johannes und dann, hinter ihm auf dem Tisch, die Sankt Paul. Johannes wurde heiß. Die leere Schale knallte beängstigend hart auf Holz, dann schoss der Zar schon auf den Tisch zu, unter dem Iwan kauerte. »Meine Sankt Paul!«, rief Zar Peter aus. Unwillkürlich verfiel er wieder ins Russische. »Wer hat sie gemacht? Du, Michael?«
    Langsam schüttelte Onkel Michael den Kopf. »Mein Neffe, Eure Majestät«, sagte er ehrerbietig. »Johannes – er steht neben Euch.«
    Johannes schluckte seine Panik hinunter und hoffte, seine selten geübte Verbeugung fiel nicht zu ungeschickt aus. Ihm war, als würde der Zar ihn mit dem Blick durchbohren. Er kennt mich nun, dachte sich Johannes. Ich könnte ihn vor Derejew warnen, aber ich habe keine Beweise. Und selbst wenn er mir glaubt, ist es der Tod der Russalkas. Mit Schaudern erinnerte er sich an die toten Wesen, die in Rosentrosts Kabinett in Spiritus dümpelten.
    »So, der Neffe«, rief der Zar. »Dann sag mal, Johannes: Für wen hast du diesen Auftrag ausgeführt?«
    Johannes schluckte. »Für niemanden, Eure Majestät. Ich habe es für mich gemacht.«
    Onkel Michaels Gesicht schien neben der rechten Schulter des Zaren zu schweben und Johannes sah erschrocken, wie es grau wurde. Es war eine dumme Antwort gewesen, erkannte er. In

Weitere Kostenlose Bücher