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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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wie Fische um ein Stück Brot! Gleich darauf presste sich wieder der wohl bekannte Schlangenleib an ihn, die Arme der Russalka zogen ihn zur Wasseroberfläche. Endlich drang wieder Luft in seine Lunge. Sie waren nicht weit vom Nordufer entfernt, winzig klein starrte ihnen von der anderen Seite her die bucklige Weide nach.
    »Still!«, sagte die Russalka, als er hustete. »Hol Luft!«
    Und weiter ging es, stromaufwärts. Das Wasser war seichter und die Gesichter um ihn herum wurden weniger. Nach einer Ewigkeit, als er schon zu ersticken glaubte, stießen seine Knie auf sandigen Grund. Die Russalka ließ ihn los. Wie ein Schiffbrüchiger kroch er an Land und japste nach Luft. Er war erschrocken, wie weit entfernt er von der Stadt war, weit hinter der großen Newabiegung. Legte Jewgenij so große Entfernungen zurück?
    »Gehe dort entlang, bis du zu den ersten Bäumen kommst«, raunte die Nixe. »Von dort aus folge dem Weg des Sonnenaufgangs.«
    »Danke«, wollte Johannes sagen, aber ein Platschen schnitt ihm das Wort ab. Wasser floss aus seiner Kleidung und ließ ihn trotz der Sommerwärme frieren. Er fühlte sich elend und zerschlagen, immer noch brannte das Entsetzen darüber, dass ein anderes Russalka-Wesen versucht hatte, ihn der Nixe wie einen Beutefisch abzujagen, in jeder Faser seines Körpers. Mit wackligen Knien machte er sich auf den Weg. Nun, falls Derejews Leute seine Schritte beobachtet hatten, dann waren sie jetzt zumindest davon überzeugt, dass er ertrunken sei.
    Der Weg war weit und öde. Nur ein paar schäbige Bäume standen in der Gegend herum. Johannes hatte erwartet eine Ansiedlung zu finden, ein kleines Dorf vielleicht oder ein befestigtes Haus, stattdessen sah er von weitem nur eine Art schlammigen Hügel. Je näher er ihm kam, desto mehr Gegenstände erkannte er, die an eine menschliche Behausung erinnerten. Faulige Bretter lagen auf dem Boden; an einem Hackblock, der unter einem Baum stand, klebten Fischschuppen und an einem anderen Baum war ein zerrissenes Netz zum Trocknen aufgehängt. Ein unbehagliches Gefühl beschlich Johannes. Unwillkürlich begann er zu schleichen. Die Hütte war so erbärmlich, dass Onkel Michael sie nicht einmal dazu verwendet hätte, Holz zu lagern. Dafür wäre sie auch zu feucht und modrig gewesen. Wie ein russisches Bauernhaus war sie aus runden Holzstämmen erbaut – ohne einen Nagel waren sie aufeinander geschichtet und ineinander verkantet. Solche Blockhäuser waren für gewöhnlich stabil, hier aber hatten die Winterstürme mit ihren Schneemassen und der Sommerregen ganze Arbeit geleistet. Nur notdürftig war das Häuschen repariert worden. Torf dichtete die Ritzen ab, manche der Stämme waren nur verschnürt, andere lehnten sich an Erdwälle, die aufgeschüttet waren, um die armselige Konstruktion zusammenzuhalten. Der Geruch von Fisch und einem rußigen Feuer lag in der Luft.
    Verzagt schlich Johannes zu der Luke, die wohl die Tür war, und spähte hinein. Nein, das konnte nicht Jewgenijs Zuhause sein. Hier drinnen gab es nichts außer – soweit er erkennen konnte – einer Pritsche, auf der ein Lumpenbündel lag. Es bewegte sich. Johannes blieb wie angewurzelt stehen. Es war eine alte Frau. Sie war krank, ihre Haut war fleckig und ihr Gesicht glich einem Totenschädel. Einst musste sie hübsch gewesen sein, aber seit damals hatten Zeit und Krankheit auf ihren Zügen gewütet und auch der Tod hatte bereits die Hand auf ihre Schulter gelegt. Aus gelblichen Augen starrte sie Johannes an. Plötzlich schämte er sich ihre Armut zu sehen, er fühlte sich, als hätte er etwas Klebriges berührt, das nun ewig an ihm haften würde.
    »Entschuldigung«, sagte er und wollte sich abwenden.
    »Teufel!«, kreischte die Alte auf. Mit einer Gewandtheit, die er nie und nimmer in dem gebrechlichen Körper vermutet hätte, stemmte sie sich hoch und setzte sich auf ihrem Lager auf. Ihr knochiger Zeigefinger stieß in seine Richtung. »Teufel!«, wiederholte sie. »Ketzer! Ich verfluche dich! Ich verfluche dich und deine Brüder, deine Brut, deinen Vater!« Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Hasses.
    Johannes stolperte und stieß sich die Schulter an der Tür. Die Wucht ihrer Worte traf ihn wie ein Tritt. Baba Jaga Knochenbein!, fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf. Wenn sie könnte, würde sie meinen Schädel auf ihren Gartenzaun spießen. »Ich … bin kein Teufel«, erwiderte er.
    Baba Jaga spuckte verächtlich aus. »Ein Hund bist du -Tiere seid ihr! Wo

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