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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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fragte eine vertraute Stimme in der Dunkelheit.
    Johannes war verwirrt. »Wer?«, fragte er.
    Die Stimme lachte leise. »Dein Freund, der Fischer.« Marfas Schritte hielten inne.
    Johannes atmete tief aus. Die Spannung ließ nach, der Traum verwehte. »Bist du gekommen, weil ich mich mit Michael gestritten habe?«
    Eine Pause folgte. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich habe etwas für dich.«
    Er hörte sie nach etwas suchen. Ein Span leuchtete auf, dann entzündete sie den Docht eines Kerzenstumpens und stellte ihn auf den Boden. Johannes dachte unwillkürlich an Onkel Michael, der die Kerze sofort zertreten und Marfa eine Predigt über brennende Werkstätten halten würde. Die Gehilfen schnarchten. Marfa sah sich um, dann setzte sie sich ohne Umschweife neben Johannes’ Lager auf den Boden. Jetzt erst bemerkte er das große Buch, das sie bei sich trug. Behutsam legte sie es neben die Kerze. Stumpf und abgeschabt war das Einbandleder. An einer Seite hatten Mäuse genagt. Marfa legte den Finger an die Lippen und schlug das Buch auf. Seite um Seite blätterte sie behutsam um, bis sie endlich innehielt. Johannes spähte über ihren Arm hinweg und erkannte mehrere akkurat gezogene Spalten, die von einer Vielzahl beschrifteter Zeilen unterteilt waren. In winziger Schrift waren Zahlen und Namen notiert.
    »Michael hebt alle alten Auftragsbücher auf«, sagte sie. »Die Truhe hat er vor fünfzehn Jahren angefertigt. Es war sehr mühsam, die Mooreiche zu besorgen, aus der sie gemacht ist. Und sehr teuer.« Sie blätterte einige Seiten um und fuhr mit dem Finger eine lange Reihe von Bezeichnungen hinunter. Bei einem Wort hielt sie inne. »Truhe mit dem fliegenden Fisch, Mooreiche.« Johannes bemerkte erst jetzt, wie er vor Nervosität seine Hände ineinander verkrampft hatte. Marfas Zeigefinger glitt nach rechts zum Namen des Auftraggebers. »Artamon Karpakow«, flüsterte sie und klappte das Buch wieder zu. »Nicht Asalow, wie Michael meinte.«
    »Karpakow«, wiederholte Johannes leise. Er hatte das überwältigende Gefühl, dass sich ein Knoten in seiner Brust löste. Am liebsten hätte er den Namen herausgeschrien, aber er grinste nur breit und glücklich und sah den Widerschein seines Triumphes in Marfas Gesicht aufleuchten. Jetzt ergab es einen Sinn. Karpakow – der Name, der auf dem Brief stand, der auf Oberst Derejews Schreibtisch darauf gewartet hatte, gelesen zu werden. Karpakow und Derejew – zwei Antworten in dem Rätsel um die Russalka, das es zu lösen galt. Johannes beugte sich vor und umarmte Marfa. Noch nie war er ihr so nahe gewesen. Anfangs versteifte sie sich, aber bald gab sie nach und ließ sich in seine Umarmung fallen.
    »Danke!«, flüsterte Johannes. »Marfa, ich danke dir so sehr! Du bist mein … geheimer Schlüssel zu Petrus’ Himmelstor.«
    Verwirrt machte sie sich los und strich sich das Haar zurecht. »Sagst du mir nun, was du vorhast?«, flüsterte sie.
    Johannes biss sich auf die Unterlippe. Die plötzliche Zärtlichkeit, die er für seine Tante empfand, wich der Sorge. »Ich kann nicht, Marfa. Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen und auch Michael nicht. Aber wenn alles vorbei ist, werde ich es dir erklären und du wirst mich verstehen.«
    Sie lächelte. »Ich werde dich nie verstehen, Johannes. Aber gerade das gefällt mir an dir. Ich glaube, du bist Michael sehr ähnlich – so muss er als junger Mann gewesen sein.«
    »Hilfst du mir deshalb?«
    Mit einem Mal wurde sie ernst. »Ich helfe dir, weil du ein mutiger Mann bist«, erwiderte sie. »Es gehört viel Mut dazu, dem Zaren ein Geschenk zu verweigern. Dein Onkel würde das nicht verstehen, aber ich denke, die Mutigen werden die Welt in den Händen halten.« Sie lächelte wieder. »Ich hatte Angst um dich, doch jetzt habe ich nur Angst davor, dass du dein Ziel nicht erreichen könntest. Ich glaube, dass Leben davon abhängen, habe ich Recht?«
    Er nickte.
    »Hat es etwas mit deinem Freund zu tun?«
    »Ja, mit … Jewgenij.«
    Sie stand auf und löschte die kleine Flamme. Einer der Gehilfen schnaubte im Schlaf und drehte sich dann geräuschvoll auf die andere Seite. Marfas Stimme schwebte in der Dunkelheit. »Wenn es so weit ist, dass du ihn nicht mehr vor uns verstecken musst, werde ich mich freuen ihm die Hand zu geben.«
    * * *
    Johannes kam erst zur Ruhe, als er an der verkrüppelten Weide stand. An diesem Sommermorgen war der Himmel grau. Ein starker Wind trieb die Rufe der Holzfäller aus dem Wald zu ihm herüber.

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