Der Kuss der Russalka
erwartet und einen Boten schicken wollte, der sie in Jesengorod persönlich abholen soll. Da sein Bote krank geworden ist, hat er dich gebeten einzuspringen. Und einen Apothekergesellen, den Alchimisten da …« – sie deutete mit einem Wink auf Jewgenij – »… nimmst du mit.« Jewgenij sah verunsichert auf das Schriftstück.
»Danke, Marfa!«, sagte Johannes.
»Hier«, wandte Marfa sich an Jewgenij und biss den Faden ab. »Zieh das Hemd an. Geh in die Kammer und bringe dein Haar in Ordnung. Ich habe den Spiegel auf das Bett gelegt. Versuche auszusehen wie jemand, der sich nicht verstecken muss.«
Jewgenij schnappte sich das Hemd und den Reiserock und verschwand gehorsam in der Kammer. Johannes beugte sich noch einmal über das Sendschreiben und studierte es eingehend. Sein Name war genannt, aber anstelle von Jewgenijs Namen stand dort Alexej Sergejewitsch Palot. »Was ist das für ein Name?«, fragte er.
»Das ist der neue Apothekengehilfe, der erst demnächst aus Moskau eintreffen wird. Für die nächsten Tage wird Jewgenij sich seinen Namen leihen.«
»Was werde ich mir leihen?«, fragte Jewgenij. Er stand wieder im Raum, sein Haar hatte er glatt gestrichen, das saubere Hemd und der Rock ließen ihn wie einen anständigen Reisenden aussehen. In einem anderen Gewand, so erkannte Johannes verblüfft, hätte sein Freund ohne Mühe als Bürger oder sogar Adliger gelten können. Dass er so ernst war, ließ sein Gesicht nur noch ebenmäßiger aussehen. Er war wirklich ein gut aussehender Junge. Johannes starrte ihn an, bis Jewgenij grinsen musste.
»Du wirst Alexej Sergejewitsch Palot heißen«, erklärte Marfa. »Merk dir den Namen gut.«
Jewgenijs Grinsen verschwand. »Ich habe einen Namen«, sagte er trotzig. »Er lautet Jewgenij.«
Marfa zog ironisch einen Mundwinkel hoch. »Manchmal muss man lügen«, erwiderte sie und warf Jewgenij einen scharfen Blick zu. Zu Johannes’ Überraschung machte Jewgenij den Mund wieder zu und gab Marfa keine Antwort.
Als Erster brach Johannes auf. Marfa verabschiedete sich schnell von ihm. »Fünf Tage«, sagte sie, als sie ihn kurz umarmte. »Fünf Tage, ich warte!«
Stumpfe Gesichter trieben an ihm vorbei, als er sich ohne Jewgenij auf den Weg über das sumpfige Gelände machte. Er schlitterte über glitschige Bretter, die einen Weg ersetzten. Verstohlen hielt er dabei Ausschau nach Derejew oder seinen Verbündeten, aber heute schien ihm niemand zu folgen. Kurz glaubte er Mitja zu entdecken, aber so schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand der Gottesnarr wieder. Im Stillen schickte Johannes ein Stoßgebet zum Himmel, dass keiner von Zar Peters Leuten die Russalka fand, während sie blind für alle Gefahren mit dem Gottesnarren ihre seltsamen Gespräche führte.
Fast hatte Johannes schon den Rand des Lagers erreicht, da hörte er plötzlich Schritte hinter sich. Ohne nachzudenken schob er die Hand unter sein Hemd und zog das Sendschreiben hervor. Sein Atem wurde schnell, während er sich zwang sich nicht ertappt zu fühlen. Er hatte schließlich einen Auftrag von Thomas Rosentrost. Als hätte er jetzt erst den Schritt bemerkt, blieb er stehen und wandte sich um. Seine Knie wurden weich. Beinahe hätte er laut geflucht. Iwan keuchte vom schnellen Lauf. Sein Bart war zerzaust und seine Lunge rasselte bei jedem Atemzug wie ein Sack voll Ketten. Johannes presste die Lippen zusammen und sah sich unruhig um. Gleich würden die Verschwörer hinter den Birken hervorkommen und ihn umzingeln. Ohne ein Wort zu sagen stürzte Iwan die letzten paar Schritte zu ihm und blieb stehen. Hastig nahm er Johannes’ Hand und drückte einen harten Gegenstand hinein. Wässrig blaue Augen blickten Johannes vorwurfsvoll an, dann trat der alte Mann den Rückweg an, ohne sich noch einmal umzusehen. Verblüfft hielt Johannes den kleinen Gegenstand fest. Erst nach einer Weile öffnete er die Hand und betrachtete Iwans Geschenk. Es war eine winzige geschnitzte Madonna.
* * *
Zu seinem Erstaunen war Jewgenij bereits beim verabredeten Ort hinter den Birken. Allerdings konnte er schlecht verbergen, dass er außer Atem war. Trotzdem – er musste eine Abkürzung kennen und wie der Teufel gelaufen sein. Selbstbewusst und mit einem breiten Grinsen lehnte er an einem Baumstamm. »Na endlich, Brehmow! Wollte die Russalka noch einen Abschiedskuss?«
»Red nicht, Russe«, gab Johannes zurück. »Wo geht es lang?«
Jewgenij deutete nach Süden und sie machten sich auf den Weg. Zügig liefen sie
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