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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Johannes. Der Soldat rechts von ihm verstärkte seinen Griff. Es knackste in Johannes’ Schulter.
    »Das gefällt mir an euch Ketzern«, bemerkte Derejew. »Ihr seid alle Großmäuler.«
    »Was hast du mit Michael und Marfa gemacht?«, stieß Johannes zwischen den Zähnen hervor.
    »Oh, sie sind auf dem Weg in den Kerker. Sie haben einem Mörder geholfen. Wir haben die Aussagen von Zeugen. Adligen Zeugen, nicht irgendwelchen Bauern, die sich bestechen lassen.«
    »Was hast du davon, Derejew? Was hast du von dieser Verschwörung?«
    Derejew zog eine Braue hoch. »Nicht viel. Einen Bluthund von Zaren weniger, eine nutzlose Stadt weniger. Wir werden die Festung halten, ja, als Tor zur Ostsee. Aber wir werden nicht mehr nach den Gesetzen eines Deutschen leben.«
    »Glaubst du, deine Schwester Marija würde gutheißen, was du hier tust?«
    Er konnte kaum so schnell schauen, wie ihn der Schlag am Kinn traf. Erschrocken keuchte er auf und starrte Derejew an. Sein Kiefer pochte. »Wage es nicht, ihren Namen in dein dreckiges Maul zu nehmen!«, brüllte Derejew.
    Die beiden Soldaten rissen Johannes, der nach dem Schlag zusammengesackt war, wieder hoch. Bleich wie ein Gespenst war der Oberst plötzlich, seine Augen glommen im Halbdunkel der Werkstatt. Plötzlich grinste er verzerrt. Es sah aus wie das Zähnefletschen eines schwarzen Wolfes. »Wir haben nicht viel Zeit – noch schläft der Zar in seinem Häuschen.« Er gab dem Soldaten zu Johannes’ Linken einen Wink. Dieser griff nach Johannes’ Gürtel und schnitt ihn einfach durch. Der Ledergürtel und der Beutel fielen zu Boden. Johannes biss die Zähne zusammen und verfluchte sich für seine Dummheit. Warum hatte er Jelena nicht die Perle gegeben? Der Beutel flog durch die Luft und Derejew fing ihn mit einer nachlässigen Geste auf. Er lächelte und drehte ihn über seiner linken Hand um. Einen Wimpernschlag später verlosch dieses Lächeln wie zischende Glut unter einem Wasserschwall. Auf seiner Hand lag ein Stein. Hübsch und rund war er, ebenso groß und vermutlich nur wenig schwerer als die Perle. Fassungslos starrte Johannes den grauen Wechselbalg an. Sturmregen klatschte gegen die hölzernen Wände der Werkstatt. Derejews Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze der Wut. Jelena, dachte Johannes. Jelena hatte die Perle genommen. Aber warum?
    »Wo ist die Perle?«, brüllte Derejew.
    Johannes presste die Lippen zusammen und schwieg. Das war ein Fehler. Der Oberst ließ ihm kaum Zeit, den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen. Schon traf ihn ein weiterer Schlag mitten ins Gesicht. Sein Kopf drohte zu zerspringen wie ein Scheit unter dem Hammer. Finger gruben sich wie Eisenklammern in seine Arme. Schmerz zuckte durch seine Schultern. Derejews Hand packte sein Haar und riss seinen Kopf zurück. »Wo?«
    Johannes antwortete nicht. Angst würgte ihn, er wäre jede Wette eingegangen, dass er sterben würde. Nun kam es nur noch darauf an, zu schweigen und Jelena Zeit zu geben, zur Newa zu kommen. Ein neuer Gedanke leuchtete in seinem Kopf auf – brennend rot und unangenehm. Hatte Jelena ihn verraten?
    »Prügelt es aus ihm heraus«, sagte Derejew und ließ ihn los.
    Sie machten ihre Sache gründlich. Als Johannes viel später erwachte, klebte seine Lippe am Holz. Er war nicht besonders stolz darauf, Jelena nicht verraten zu haben. Es lag nicht an seinem Mut, es lag daran, dass der Schmerz ihm die Sprache genommen hatte. Als er bewusstlos geworden war, hatten sie von ihm abgelassen – vermutlich um später wiederzukommen. Er stöhnte. Aber nun war es still um ihn. Zumindest das. Kein Gebrüll, das in seinen Ohren zerbarst, kein Holz, das auf seinem Rücken zersplitterte und sich in seinen Magen bohrte, keine Fäuste mehr und kein Geruch nach Schweiß und Verzweiflung. Auf seinen Augen lagen zwei dicke Schichten öligen Leinens, und als er unter größter Anstrengung blinzelte, verriet ihm ein Brennen, dass es seine eigenen geschwollen Lider waren. Blut begann zu sickern und netzte sein Kinn. Vorsichtig bewegte er die Zunge und stellte fest, dass er nur einen einzigen Zahn verloren hatte. Ein Wunder. Nässe kühlte seine Wange, aber es war kein Blut, es war kalt und schmeckte nach Holz. Das trappelnde Geräusch über ihm verwandelte sich in Regen. Sturm heulte um die Häuser. Wie das Wasser durch die Ritzen, so tröpfelte die Erkenntnis in Johannes’ Bewusstsein. Wie lange mochte er hier schon liegen? Einen halben Tag? Einen ganzen?
    Er konnte den Kopf nicht heben.

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