Der Kuss der Sirene
Wahl«, sagt Cole. »Er hätte dich getötet. Und mich. Wahrscheinlich auch Sienna.«
Ich nicke und wende mich ab.
Es beginnt wieder zu regnen, die Tropfen wecken mich aus meiner Starre.
Wasser tropft Cole aus den dunklen Locken in die Augen. »Was sollen wir jetzt mit ihm machen?«
Mit ihm machen? Er ist tot. Eriks groÃer, lebloser Körper liegt im Schlamm.
»Ich â¦Â« Mir fehlen die Worte. Im nächsten Moment verschwimmt alles vor meinen Augen. »Es gibt einen Fluss direkt hinter den Bäumen.« Ich mache eine Pause, als mir die Ironie meiner Worte bewusst wird. Ich fahre trotzdem fort. »Der Wasserlauf ist breit und tief. Wir können ihn dorthin schleppen und hineinwerfen. Die Strömung wird ihn zum Meer tragen.«
Für eine Minute sagt keiner von uns ein Wort.
»Man wird herausfinden, dass er erdrosselt wurde«, gibt Cole zu bedenken.
»Aber niemand wird je darauf kommen, dass ich es war. Ich bin nur halb so groà wie er. Es gibt keine Beweise, den Tatort kann man dann nicht mehr ermitteln. Erik ist vierhundert Jahre alt. Vielleicht hat er ein paar Urkunden gefälscht, und wenn die Polizei tiefer in seiner Vergangenheit gräbt â¦Â«
Cole denkt eine Weile schweigend nach. »Okay, dann tun wir es«, sagt er schlieÃlich, doch keiner von uns beiden erhebt sich. Wir hocken im Uferschlamm und lassen uns vom stärker werdenden Regen durchweichen.
»Wie lange bist du schon â¦Â«
»Eine Sirene? Ich habe mich immer vom Meer angezogen gefühlt, aber der Fluch hat sich an meinem sechzehnten Geburtstag erfüllt. In der Nacht â¦Â« Ich breche ab. »In der Nacht, als ich mit Steven ins Meer hinaus bin.«
»Ist er das Einzige â¦Â«
»Ja, bis heute Nacht. Dieser See hat mir die Möglichkeit gegeben zu überleben, ohne einem anderen Menschen etwas anzutun. Ich muss jede Nacht schwimmen, sonst werde ich krank. Ich brauche einen Ort, wo mich niemand singen hört. Wenn jemand meinen Gesang hört ⦠folgt er mir ins Wasser und wird von mir ertränkt.«
»Das ist jetzt Vergangenheit.«
»Wovon redest du?«
»Das alles ist mir völlig egal. Vielleicht bist du eine Sirene, aber in meinen Augen bist du viel mehr.«
Mein Mund wird trocken. »Begreifst du, was du da sagst? Ich habe zwei Menschen getötet.«
»Ich begreife es sehr wohl. Und ich liebe dich.«
Eine Träne rollte über meine Wange. Bald werde ich wissen, ob seine Worte wahr sind.
Kapitel 32
Auf dem Weg zurück zu Cole biege ich zu Sienna ab. Ihr Haus liegt pechschwarz vor mir. Ihre Eltern müssen mal wieder verreist sein. Ich hoffe, es geht ihr gut, so allein in diesem groÃen Haus.
»Cole, warte bitte hier im Wagen auf mich. Ich muss allein gehen. Das bin ich Sienna schuldig.«
Er nickt und küsst mich auf die Stirn, dann drückt er meine Hand. »Viel Glück.«
Ich atme tief ein. »Danke, das werde ich brauchen.«
Ich steige aus meinem Wagen und lasse den Motor laufen, damit die Heizung an bleibt. Coles Haar ist noch total verfilzt und klebt an seiner Stirn. Wir sind beide völlig erschöpft.
Ich gehe zur Haustür und klopfe. Ich warte und zapple unruhig herum. Nichts. Ich klopfe noch einmal, wieder keine Antwort. Ich gehe zur Veranda, laufe um das Haus herum und spähe in die dunklen Fenster. Sienna müsste längst zu Hause sein. Wohin sollte sie sonst?
Auch an der Hintertür öffnet mir niemand. Zögerlich drehe ich am Knauf und bin überrascht, als die Tür aufspringt. Leise Musik dringt aus Siennas Zimmer. Vielleicht hat sie mein Klopfen nicht gehört.
Ich drücke die Tür zu und rufe in die Dunkelheit: »Sienna?«
Nichts. Mit stellen sich die Haare im Nacken auf. Langsam durchquere ich die Küche und laufe zu ihrem Zimmer. »Hallo?«
Ich klopfe leise an die Tür, halte kurz inne und stoÃe sie dann vorsichtig auf. In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken. Das Zimmer ist dunkel und ich hätte sie beinahe nicht gesehen.
Sienna sitzt auf der Fensterbank und starrt reglos wie eine Statue auf die geschlossenen Vorhänge. Ãber die Zimmerwände kriechen dunkle Schatten, sie schleichen sich an mich heran.
»Sienna?«
Endlich dreht sie sich um. Ihre Haare sind zerzaust. Sie hat sich nicht umgezogen, an ihrem Schlafanzug klebt immer noch Schlamm.
»Du hast ihn umgebracht.« In ihrer Stimme liegt kalte
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