Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
nebelhaft an Rafe erinnern, der sie getragen hatte. Aber Jean war bei der Kapelle gewesen. Sicher hatte er sie begleitet.
»Es tut mir leid, dass wir nicht früher bei dir waren«, murmelte er, sodass sie sich anstrengen musste, ihn zu verstehen. »Es hätte nie so weit kommen dürfen.«
»Nein, ich war doch selbst schuld. Ich hätte niemals so dumm sein dürfen, diesem Dämon zu glauben. Du hast mich oft genug gewarnt, dass sie Meister der Täuschung sind.«
»Trotzdem habe ich zugelassen, dass er dich verletzt hat. Das ist unverzeihlich.« Er klang düster und eher so, als spreche er mit sich selbst.
»Rede doch keinen Unsinn! Wenn du nicht das Weihwasser durchs Fenster geworfen hättest, wäre ich jetzt vielleicht tot.«
»Ich … wollte reinkommen«, beteuerte er. »Aber die Tür war magisch versiegelt. Nicht mal der gefallene Engel hat sie aufbekommen. Ich hab alles versucht. Dann hab ich’s an den Fenstern probiert. Am Ende bin ich losgerannt und hab etwas gesucht, das ich als Brechstange benutzen kann, aber … Was? Ja, verdammt, ich fasse mich kurz.«
Mit wem sprach er da im Hintergrund?
»Jedenfalls wollte ich zurückkommen. Das musst du mir glauben. Aber sie haben mich vorher geschnappt.«
»Geschnappt? Wer?«
»Die Flics. Ich bin verhaftet, weil sie glauben, ich hätte Caradec ermordet.«
Den Anführer des Zirkels? »Was? Aber wie …«
»Das ist jetzt zu kompliziert. Mach dir keine Sorgen um mich. Meine Anwältin ist gut – die beste. Madame Geneviève Des Anges. Ich rufe von ihrem Handy aus an, deshalb müssen wir Schluss machen. Pass auf dich auf, Sophie! Au revoir!«
»Ja, aber … Warte, Jean!« Es war zu spät, die Verbindung bereits unterbrochen.
»Du solltest dir wirklich keine Sorgen machen«, ertönte Rafes Stimme vom Nachbarbett her. »Ich bin sicher, die Obduktion wird als Todesursache einen Herzinfarkt ergeben.« Er lehnte an der Bettkante, doch als sich Sophie ihm zuwandte, kam er zu ihr herüber.
Sie konnte sich nicht helfen – ihr Herz schlug bei seinem Anblick schneller, während Freude, Überraschung, Bedauern und Aufregung darin um die Vormacht stritten. »Du … du kannst hier doch nicht einfach so auftauchen. Die Schwester kann jeden Moment nach mir sehen! Was soll sie denn denken, wie du hier reingekommen bist?«
»Dass sie gerade in einem anderen Zimmer war?«, schlug er vor. »Das Personal ist viel zu beschäftigt, um jeden Besucher im Auge zu haben.« Lächelnd nahm er ihre Hand.
Wärme ging von der Berührung aus, durchdrang ihre Haut, den Arm, breitete sich als leises Glücksgefühl bis in ihr Herz aus. Er hatte sie gerettet, für sie gekämpft, sich mit einem Dämon angelegt, der ungleich mächtiger war. Konnte es so falsch sein, ihn zu lieben?
»Es freut mich, dass es dir wieder besser geht. Du warst nicht mehr weit von der Schwelle entfernt.«
»Du musst mich für eine komplette Idiotin halten, weil ich auf Kafziel hereingefallen bin. Aber ich kann nicht so weitermachen! Ich kann dich nicht jeden Tag aufs Neue abweisen. Ja, ich weiß, dass du es genau darauf anlegst, aber ich will nicht die Braut eines Dämons werden.« Sie bemerkte die Tränen erst, als sie ihr übers Gesicht liefen.
»Das musst du auch nicht.« Er strich liebevoll über ihre Wange, dann trat er einen Schritt zurück. »Ich bin hier, um dir etwas zu zeigen.«
Sein Bild auf ihrer Netzhaut flackerte wie damals, als sie ihn gezwungen hatte, seine wahre Natur zu offenbaren. Sophie stockte der Atem. Sie blinzelte gegen das Licht an, das ins Zimmer flutete, als sei die Sonne hinter einer Wolke hervorgekommen. Rafes Gestalt strahlte so hell, dass sie sein Gesicht kaum noch erkennen konnte, und doch wusste sie mit einer Gewissheit jenseits körperlicher Sinne, wer vor ihr stand. Wie zuvor die Wärme ergoss sich nun das Licht in sie, erfüllte sie mit einer Liebe, die so groß, so allumfassend war, dass sie alles andere vergessen machte. Und breiteten sich in diesem Gleißen nicht auch Schwingen aus?
Ein lautes Klopfen ließ das Bild verlöschen. Eine der Krankenschwestern steckte den Kopf herein. »Ist die Infusion schon durchgelaufen?«
Sophie konnte nicht antworten. Ihre Gedanken waren in Ergriffenheit erstarrt. Ihr Herz floss über von der Liebe, die sie gespürt hatte. Ein Kitzeln lenkte ihren Blick auf ihre Hand hinab. Auf der Bettdecke lag eine weiße, flaumige Feder.
D ass ein bestimmtes Buch nie geschrieben worden wäre, wenn dieser oder jener hilfreiche Mensch nicht
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