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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Louvre um.
    »Nur ein paar Minuten.« Rafe … Raphael …
saß auf den Terrakottafliesen des Ausstellungsraums. Nur noch ein dunkler Fleck
und glitzernde Scherben erinnerten an das Weihwasser, das Sophie aus der Hand
gefallen war. Neben ihnen ragte die Vitrine mit den Rollsiegeln auf –
unversehrt. Sophie sprang auf, ihr hoffnungsvoller Blick suchte den Schlüssel,
doch sein Platz war leer. Nichts deutete darauf hin, dass jemals ein weiteres
Siegel hier gestanden hatte.
    »Es wird lange dauern, bis jemandem auffällt, dass es fehlt«, meinte
Raphael und erhob sich.
    »Aber wie …« Sie deutete verwirrt auf das intakte Glas. »Ich hab
gesehen, dass es zerbrochen war.«
    »Die Kerubim haben alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand
versetzt. Alles andere würde nur unerwünschte Aufmerksamkeit auf das Siegel
lenken. Mysteriöse Vorfälle, bei denen angeblich unscheinbare archäologische
Fundstücke verschwinden, sind eine Steilvorlage für Verschwörungstheoretiker im
Internet.« Er versuchte ein Lächeln, aber es misslang.
    Sophie hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie sah noch immer auf den
verwaisten Platz, obwohl sie in Gedanken die letzten Sekunden vor sich sah,
bevor der Dämon mit dem Schlüssel verschwunden war. »Ich habe versagt.«
    »Das hast du nicht«, meinte Raphael, legte den Arm um ihre Schultern
und drückte sie tröstend. »Dein Eingreifen muss wichtig gewesen sein, sonst
hätte ich nicht den Auftrag bekommen, dich herzubringen. Nicht einmal die
Kerubim konnten ihn aufhalten, nachdem er sein Opfer bekommen hatte.«
    Dann kam Jean zu spät. Oder war ihm etwas
zugestoßen? Auf jeden Fall war seine Freundin wohl tot. Die Vorstellung
schnürte ihr die Kehle zu. Jean hatte so viel riskiert, um ihr zu helfen, und
alles war umsonst. Sie konnte das bleiche Mädchen förmlich in seinem Blut
liegen sehen.
    »Aber wie kann …« Gott so etwas zulassen? Da war sie wieder, die alte Frage nach Gott und dem Bösen in der Welt. Sophie
merkte, dass es ihr angesichts der Engel und Dämonen fast schon
selbstverständlich geworden war, auch an die Existenz Gottes zu glauben. Doch
wenn es ihn gab, wenn er Kafziel gestattet hatte, mit dem Schlüssel zu
entfliehen – und in seiner angeblichen Allmacht lag dies in seiner Hand, ob es
nun einen Teufel gab oder nicht –, worin bestand dann seine Rolle? War er der
Wüterich des Alten Testaments, der das arme Mädchen als Opfer sterben ließ, um
es für seine Sünden zu strafen? Der die Freilassung der Wächter als Jüngstes
Gericht über eine verderbte Menschheit brachte? Oder sah er als seufzender
Vater seinen guten wie schlechten Kindern zu, wie sie Fehler machten – egal,
wie schrecklich sie sein mochten –, weil er wusste, dass sie nur aus Irrtümern
lernen konnten? Wo bliebe dabei die Gerechtigkeit?
    Müde schüttelte sie den Kopf. Sie würde es heute Nacht nicht mehr
ergründen. Vielleicht würde sie das nie …
    »Komm, lass uns gehen, bevor sie den Kurzschluss repariert haben«,
mahnte Raphael und nahm ihre Hand. Ob er absichtlich nicht auf ihre Gedanken
einging? Wie zur Antwort schloss er die Finger für einen Augenblick fester um
die ihren. Die Nacht war lang und hart genug gewesen.
    Sophie folgte ihm in den Cour Khorsabad hinüber. Was würde ihnen
bevorstehen, wenn Kafziel die Wächter entfesselte? Vielleicht hatte sie gerade
einen Vorgeschmack auf die Schlacht bekommen, die dann zwischen Himmel und
Hölle entbrennen würde. Ausgetragen auf der Erde, unter den Menschen, die
nichts davon ahnten …
    Scheu sah sie zu den Gesichtern der geflügelten Stierwesen auf, die
starr und steinern wieder an ihren Plätzen standen. Es tut
mir leid, dass ich euch nicht helfen konnte. Aber vielleicht war dieser
Anspruch von Anfang an vermessen gewesen. Sie verstand noch nicht viel vom
Kampf gegen Dämonen. Doch sie war bereit zu lernen. Mehr denn je.

    Als Sophie erneut die Augen öffnete, fiel helles Licht
durch die Ritzen des Fensterladens. Von draußen drang ferner Straßenlärm herein
und aus der Küche Madame Guimards quäkendes Radio. Nur sonntags gab es
klassische Musik aus dem Salon bereits zum Frühstück. Alles war wie immer …
Noch hatte Kafziel also nicht die Pforten zur Hölle geöffnet. »Hat er doch
nicht, oder?«, fragte sie Raphael, ohne ihn zu sehen. Sie konnte die leise
Angst, er könne gegangen sein, obwohl sie ihn gebeten hatte zu bleiben, nicht
aus ihrer Stimme heraushalten. Ohne ihn hätte sie angesichts der drohenden
Gefahr nicht einschlafen

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