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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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zukünftigen
Herren der Hölle reichlich verloren. Wie auf ein geheimes Zeichen intonierten
sie erneut ihre Beschwörung. »Asmodi, Aziabel, Bethor, Oriens …« Sylvaine
weihte den silbern schimmernden Dolch den Elementen, indem sie ihn nacheinander
in Rauch und Flamme der Kerze hielt, mit der Spitze den Boden berührte und
schließlich darauf spuckte.
    Jeans Gedanken rasten. Was konnte er tun? Versuchte er, die
Zeremonie durch einen Exorzismus zu stören, würde ihn Henri sofort zum
Schweigen bringen. Lilyth stand bleich und reglos da. Für ein Mädchen wie sie,
missbraucht und ohnmächtig gegen ihren Peiniger, mussten Kafziels
Versprechungen äußerst verlockend sein. Doch glaubte sie im innersten Herzen
wirklich daran? Wollte sie nicht viel mehr von einem Leben erlöst werden, in
dem sie kein Licht mehr sah? »Sei nicht so dumm! Es gibt Hilfe!«, rief er.
Seine Wange rieb über das schmutzige Gestein. Noch einmal spannte er sich,
versuchte, Henri mit einem Ruck aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Schmerz,
der sofort durch seine Schulter jagte, entriss ihm ein Stöhnen.
    Sylvaine hob den Dolch und trat auf Lilyth zu, deren Lider noch –
oder wieder? – geschlossen waren.
    Jean knirschte mit den Zähnen. Panik und Verzweiflung fegten jedes
andere Gefühl hinweg. Sie würde sterben, wenn er nichts unternahm. Er sah schon
vor sich, wie die Klinge in weiße Haut schnitt. »Desiste puella, Kafziel! Adime
me! – Lass das Mädchen, Kafziel! Nimm mich!«

    Der Anblick erinnerte Sophie an Fresken, die Kirchgängern
die Schrecken der Hölle ausmalen sollten. Je länger sie – noch immer halb
aufgerichtet am Boden liegend – nach oben starrte, desto deutlicher sah sie im
wogenden Gewirr die kämpfend ineinander verschlungenen Leiber, die die drei
Stockwerke bis zum Glasdach ausfüllten, den Hof zu sprengen und doch die Wände
zu durchdringen schienen, als gäbe es sie nicht. Kräftige Schwingen, manche
gefiedert, andere knochig und nackt, flatterten. Stierhufe trommelten auf
Schlangenhaut ein. Entstellte Fratzen rissen zähnestarrende Mäuler auf, und ein
Skorpionstachel zuckte dem bärtigen Gesicht eines geflügelten Stiermenschen
entgegen. Das sind also die Kerubim! Sophie glaubte,
in einem blonden Engel Geneviève zu erkennen, die mit flammendem Schwert die
krallenbewehrten Fänge eines löwenköpfigen Adlers versengte. Allmählich hörte
sie auch das Rascheln der Flügel, das Brüllen und Schreien.
    »Weiter!« , rief Raphael in ihrem Kopf.
    Zögerlich wandte sie sich ihm zu. Ihr war, als müsse sie aus den
lähmenden, betäubenden Tiefen eines Sees emporsteigen, um die Augen von dem
biblischen Anblick über ihr zu lösen. Immer lauter grollten und kreischten die
Dämonen in ihren Ohren. Raphael, unter die strampelnden Krallenfüße eines
Dämons und den peitschenden Schwanz eines Stiers geduckt, bedeutete ihr, ihm
nach nebenan zu folgen. Gerade wollte sie sich aufrappeln, als ein schlagender
drachenartiger Flügel sie erneut von den Füßen fegte. Instinktiv barg sie den
Kopf in Armen und Händen, erwartete den Angriff, doch es geschah nicht mehr.
Der Dämon hatte sie nur im Eifer des Gefechts gestreift. Eine Sekunde lang
fragte sie sich, was die Überwachungskameras zeigen mochten und ob jeden Moment
Sicherheitspersonal den Saal stürmen würde, aber dann fielen ihr die
erloschenen Lampen ein. Vielleicht hatten die Museumsleute ihre ganz eigenen
Probleme.
    Sie spähte nach oben. Hier unten schien sie recht sicher, während
sie unweigerlich wieder mit den Kämpfenden kollidieren würde, wenn sie noch
einmal versuchte aufzustehen. Raphael erging es offenbar nicht besser. Er
kauerte an der Schwelle, wo wenige Stufen in den Nebenraum hinabführten, und
blickte besorgt in die Richtung des Schlüssels. Auf allen vieren krabbelte sie
auf ihn zu, als wie aus dem Nichts etwas Großes auf ihn niederfuhr. Im nächsten
Augenblick leuchtete Raphaels plötzlich aufgerichteter Körper hell auf. Weiße
Schwingen breiteten sich hinter seinem Rücken aus, mehr sah sie nicht mehr von
ihm. Ein Dämon, menschenähnlich von Gestalt, raubte ihr mit seinen vier
grünlich dunklen Flügeln die Sicht.
    »Rafe!«, entfuhr es ihr, doch der Engel gab keine Antwort, taumelte
im Kampf gegen den Dämon, dessen Skorpionstachel nach ihm schlug, rückwärts,
bevor es ihm gelang, sich im Nebenraum mit kräftigen Flügelschlägen nach oben
zu bewegen, wohin er den Dämon mit sich zog.
    Jetzt liegt es allein bei mir. Mit
fliegenden Fingern fischte

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