Der Kuss des Meeres
auf und trete unter den dampfenden Wasserstrahl. Es fühlt sich an, als würde ich in Spucke baden. Ich kippe Shampoo in meine Hand und schäume mich kräftig ein. Ich versteife mich, als ich Moms Stimme auf der anderen Seite des Vorhangs höre.
» Du hast recht. Dad hat dir geglaubt«, sagt sie tonlos. » Aber dieser Mann hätte dir alles geglaubt. Emma, du warst deswegen so außer dir und so verstört. Natürlich dachtest du, es sei echt gewesen. Ich bin mir sicher, dass es für dich auch wirklich sehr echt war. Es tut mir leid, dass ich gelacht habe. Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt schon einmal gesagt habe. Aber es tut mir leid. Mir war nicht bewusst, dass es dich verletzt hat.«
Meine Lippen zittern. Ich bringe keinen Ton heraus. Ich könnte ihr jetzt einfach sagen, dass es okay ist. Dass ich ihre Entschuldigung annehme. Aber ich habe mich so lange an dieser Verbitterung festgehalten, dass ich jetzt nicht einfach loslassen kann. Noch nicht. Also tue ich es nicht. Sie sagt nichts mehr. Aber ich höre sie auch nicht weggehen.
Als ich aus der Dusche klettere, liegt meine Geburtsurkunde im Waschbecken und daneben ein paar Babyfotos, die ich noch nie gesehen habe. Ein Bild von Dad, wie er für die Kamera posiert, während er die Nabelschnur durchschneidet. Ein Bild von Mom, das Gesicht noch von den Wehen gezeichnet, aber mit einem seligen Lächeln im Gesicht und einem bleichen Baby im Arm. Das Baby hat fast durchsichtige Haut und einen Schopf weißer Haare, die mit Blut verkrustet sind. Das Baby bin ich.
Könnte das alles gestellt sein? Die Geburtsurkunde gefälscht? Und wenn ja, WARUM ? Es macht keinen Sinn. Aber irgendwie ist das auch kein Wunder, weil ich so schrecklich müde bin. Morgen werde ich diese Bilder vielleicht mit anderen Augen sehen. Ich werde sogar mit der Geburtsurkunde zu Rachel gehen. Wenn jemand herausfinden kann, ob sie echt ist, dann ja wohl Rachel.
Zufrieden mit meinem Plan zwirbele ich ein Handtuch wie einen Turban um meinen Kopf, dann wickele ich ein weiteres um meinen Körper. Ich öffne die Badezimmertür. Und falle vor Schreck fast tot um. Galen sitzt auf meinem Bett. Ich muss wirklich anfangen, meine Balkontür abzuschließen.
Er sieht gleichzeitig wütend und froh aus. Es ist gerade mal vierundzwanzig Stunden her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, und ich bin doch aufgeregt– trotz Schlafdefizit und mieser Laune–, dass er wieder da ist.
» Ich denke, dein Dad war ein Halbblut«, sagt er. Er runzelt die Stirn. » Und ich habe Rayna nie gesagt, dass ich ihr Fahrstunden geben würde.«
24
Endlich ist Freitagabend.
Galen biegt in Emmas Straße ein und geht im Geiste Rachels To-Do-Liste für die Verabredung heute Abend durch. Er ist entschlossen, Emma den ganzen Abend über gut zu unterhalten; sie hat Ablenkung noch nötiger als er . Sie hat ihn mit Fragen über ihren Vater bombardiert. Galen hat ihr alles erzählt, was die Archive gesagt haben. Sie hat ihm ihre Geburtsurkunde gezeigt– von der Rachel bestätigt hat, dass sie entweder echt ist oder die beste Fälschung, die sie je gesehen hat– genau wie ihre Babyfotos. Das alles bestätigt nur den Schluss, den er bereits gezogen hat: Emmas Vater war ein Nachfahre der Halbblüter. Er hatte das blonde Haar und die helle Haut. Außerdem trug er Kontaktlinsen. Emma schwört, dass sie nicht farbig waren, aber Galen ist sich sicher, dass sie sich irrt. Sie müssen es gewesen sein.
Es gibt noch andere Hinweise. Ihr Vater liebte den Ozean. Er war verrückt nach Meeresfrüchten. Er glaubte Emma, als sie ihm von den Seewölfen erzählt hat, die sie gerettet haben. Warum sollte er ihr glauben, wenn er nicht gewusst hätte, was sie ist? Und als Arzt muss er über alle ihre körperlichen Anomalien Bescheid gewusst haben. Wie könnte er kein Halbblut gewesen sein?
Aber Emma sträubt sich gegen Galens Schlussfolgerung, weil sie sich nicht » richtig anfühlt«.
Apropos Dinge, die sich nicht richtig anfühlen … Während er seinen neuen SUV in die Einfahrt lenkt, überflutet die Aufregung seinen Magen wie Hochwasser. Als er aussteigt, bemerkt er, dass er sich viel lieber vom Sitz heruntergleiten lässt, als sich aus einer engen Todesfalle wie dem Cabrio herauszuhieven. Er ist fast froh darüber, dass Rayna den roten Wagen um einen Baum gewickelt hat– abgesehen davon, dass sie und Emma dabei hätten verletzt werden können. Er schüttelt den Kopf und knirscht in seinen veloursledernen Timberlands durch den Kies auf Emmas
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