Der Kuss des Meeres
dass Emma vor ihm sterben wird.
Oh ja, das ist es absolut wert.
23
Officer Downing biegt neben Moms Wagen in die Einfahrt ein. Natürlich ist sie zu Hause. Ich weiß nicht, warum ich auch nur einen Funken Hoffnung darauf verschwendet habe, dass es anders sein könnte. Vielleicht weil ich achtzehn bin, was bedeutet, dass sie sich nicht die Mühe machen, die Eltern zum Ort des Geschehens zu rufen. Aber auch wenn ich kein Opfer der Justiz werde, werde ich doch ein Opfer des Kleinstadttratschs. Ein Opfer blitzender Blaulichter, gewisperter Geringschätzung und missbilligend geschüttelter Köpfe. Und, oh Mann, jetzt fühle ich mich erst recht als Opfer: Sie ist nicht nur zu Hause, sondern steht auch noch vor der Haustür, die Arme vor der Brust verschränkt. Und wartet.
Officer Downing öffnet die Hintertür des Streifenwagens, der nach Vinyl, Schweiß und Demütigung riecht. Ich steige aus. Er reicht mir meinen Rucksack, den Rachel mir freundlicherweise herausgebracht hat, als wir Rayna bei Galen zu Hause abgesetzt haben. Sie war auch so freundlich, mich nicht umzubringen, weil ich mit einem Cop vor ihrer Haustür aufgetaucht bin.
» Ruhen Sie sich ein wenig aus, junge Dame«, sagt Officer Downing. » Sie werden sich morgen wahrscheinlich ziemlich schlecht fühlen. Es dauert im Allgemeinen ein bis zwei Tage, bis man die Nachwirkungen eines Unfalls spürt.«
» Danke fürs Nach-Hause-Bringen, Officer Downing, ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen«, erwidere ich kleinlaut.
» Gern geschehen, Miss McIntosh. Einen schönen Abend noch.« Er grüßt meine Mom mit einem abgehackten Salut, dann steigt er in den Wagen und fährt davon.
Ich trotte auf die Veranda zu, während ich mit dem Gedanken spiele, in die andere Richtung zu rennen. Aber eigentlich dürfte ich gar nicht in Schwierigkeiten stecken. Es war nicht mein Auto. Nicht ich bin diejenige, wegen der die Polizei gekommen ist. Das war Samantha Forza. Und das Bild auf Samantha Forzas Führerschein sieht Rayna erstaunlich ähnlich. Sie hat Officer Downing erzählt, dass sie einem Kamel ausweichen musste, was Officer Downing großzügigerweise als einen Hirsch interpretiert hat, nachdem sie es als » ein haariges Tier mit vier Beinen und einem Horn« beschrieben hat.
Da kein offizieller Suchtrupp losgeschickt wurde, um nach einem Kamel oder einem Einhorn zu fahnden, dachte ich, wir wären aus dem Schneider. Aber Moms Miene nach zu urteilen, bin ich davon sehr, sehr weit entfernt.
» Hi«, sage ich, als ich die Stufen erreiche.
» Das werden wir gleich sehen«, erwidert sie, packt mein Gesicht und leuchtet mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen.
Ich wehre sie ab. » Ist das dein Ernst? Du checkst meine Pupillen? Ernsthaft?«
» Hal sagt, du hast benebelt ausgesehen«, erwidert sie und clippt das Lämpchen zurück an den Ausschnitt ihres OP -Kittels.
» Hal? Wer ist Hal?«
» Hal ist der Sanitäter, der deine Unterschrift verlangt hat, als du jede medizinische Behandlung verweigert hast. Er hat über Funk das Krankenhaus verständigt, nachdem er dich zurückgelassen hatte.«
» Oh. Also dann müsste Hal eigentlich aufgefallen sein, dass ich gerade an einem Unfall beteiligt gewesen bin und vielleicht deshalb ein bisschen verpeilt ausgesehen habe. Das heißt nicht, dass ich high bin.« Also kein Kleinstadttratsch, sondern Landkreis tratsch. Der gute alte Hal hat wahrscheinlich schon Hunderte Patienten zu meiner Mom in die Notaufnahme zwei Städte weiter gebracht.
Sie runzelt die Stirn. » Warum hast du mich nicht angerufen? Wer ist Samantha?«
Ich seufze und dränge mich an ihr vorbei. Es gibt keinen Grund, dieses Gespräch auf der Veranda zu führen. Sie folgt mir ins Haus. » Sie ist Galens Schwester. Ich habe nicht angerufen, weil ich keinen Empfang hatte. Wir waren auf einer ziemlich abgelegenen Straße.«
» Wo war Galen? Warum hast du seinen Wagen gefahren?«
» Er war zu Hause. Wir haben damit nur eine kleine Spritztour unternommen. Er wollte nicht mitkommen.«
Im Prinzip habe ich nicht gelogen, deshalb klingt auch alles so glaubwürdig.
Mom schnaubt, während sie die Haustür mit dem Schließriegel sichert. » Wahrscheinlich weil er weiß, dass seine Schwester am Steuer eine Gefahr für ihre Mitmenschen ist.«
» Wahrscheinlich.« Ich stampfe in die Küche und lege meinen Rucksack auf der Theke ab. Nachdem ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank geholt habe, setze ich mich an den Esszimmertisch, um meine Tennisschuhe
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