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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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gespielt hatte.
    »Ich stelle es mir schön vor, mit diesen berühmten Orchestern zu spielen … «, murmelte ich, verärgert über mich selbst, weil mir nichts Geistreicheres eingefallen war. »Egal wo, egal vor wem und egal mit wem«, erwiderte er nüchtern, »Cello bleibt Cello.«
    Ich setzte zu einer neuen Frage an, aber noch ehe ich sie aussprechen konnte, unterbrach er mich ungewohnt harsch: »Lass uns weiterspielen!«
    Noch deutlicher hätte er mir nicht zeigen können, dass er nicht über sich, ja, eigentlich gar nicht reden wollte. Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, und blätterte mit zitternden Händen in meinen Noten. Doch anstatt mit dem Spiel zu beginnen, als ich die richtige Seite gefunden hatte, ließ er den Cellobogen sinken und sah mich ratlos an. Ihm schien bewusst geworden zu sein, wie hart er gewirkt haben musste, und er begann – offenbar, um zu zeigen, dass er es nicht so gemeint hatte – nun umgekehrt mir Fragen zu stellen, wobei diese eher rhetorischer Natur waren. »Du bist im siebten Semester, ja?« – »Professor Wagner scheint sehr begeistert von dir zu sein, oder?« – »Du hast schon viel erreicht, obwohl du noch so jung bist, nicht mal zwanzig, nicht wahr?«
    Obwohl seine Stimme sehr freundlich war, verstärkte sich das Rot in meinem Gesicht, während ich einsilbig antwortete. Wenn er mein Alter erwähnte, konnte das nur bedeuten, dass er mich für kaum mehr als ein Kind hielt. Und wie ein Kind fühlte ich mich in diesem Moment: linkisch, naiv, verkrampft.
    Doch dann hörte er zu fragen auf, und wir spielten weiter – und wie immer, wenn ich in unserer Musik aufgehen konnte, verflog meine Unsicherheit.
    Anfangs dachte ich, dass sich Nathanael Grigori nur bei mir so schweigsam und unnahbar gab. Doch eines Tages verließen wir den Überaum, und Matthias – wie immer leicht verschwitzt, als käme er gerade vom Bau – trat auf ihn zu. Er hatte offenbar auf Nathanael gewartet, um etwas mit ihm zu bereden, legte nun jovial die Hand auf seine Schulter und beugte sich so nahe an sein Gesicht heran, dass Nathanael gewiss seinen feuchten Atem spüren musste. Matthias schwatzte munter drauflos – Nathanael hingegen wich unwillkürlich zurück. Ekel erschien auf seinem schönen Gesicht, dann erstarrten seine Züge. Auf die Fülle an Worten, die der Pianist über ihn ergoss, erwiderte er nur ein knappes Ja oder Nein, ehe er sich abwandte und den Gang so schnell entlanglief, als sei er auf der Flucht. Wieder und wieder lief diese Szene später vor meinem inneren Auge ab, und ich fragte mich, ob gleicher Ekel auch dann in seinem Gesicht erscheinen würde, wenn ich ihn zufällig berührte.
    Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass wir uns wohl nie richtig miteinander unterhalten würden, als er mich eines Tages nach dem Spielen fragte, ob ich mit ihm einen Kaffee trinken wolle.
    Ich verstaute die Noten gerade in meiner Tasche, und seine Einladung kam so unvermittelt, dass mir vor Überraschung die Blätter aus der Hand rutschten. Schnell kniete ich mich hin, um sie wieder einzusammeln, und als ich aufstand, stieß ich mit dem Kopf gegen das Klavier. Ich sah, wie Nathanael sich mühsam ein Lächeln verkniff, das ihn jünger wirken ließ, unbeschwerter, nicht ganz so ernst, verschlossen und geheimnisvoll.
    »Nur wenn du Zeit hast … «, fügte er hinzu.
    »Aber natürlich habe ich Zeit!«, rief ich hastig und schämte mich im nächsten Augenblick dafür, dass ich so voreilig war.
    Schweigend gingen wir nach unten. Mein Kopf brummte, aber ich vermied es, die schmerzende Stelle zu betasten. Das Missgeschick war mir so peinlich, dass ich ihn nicht auch noch daran erinnern wollte.
    Ich hatte erwartet, dass wir ins MOZ gehen würden, doch Nathanael hatte anderes im Sinn. Wir verließen das Mozarteum und erreichten nach einigen Minuten das Hotel Stein, von dessen Terrasse aus man die ganze Altstadt von Salzburg und die Umgebung der Stadt überblickt: die Kuppeln der Kirchen und des Doms, den Mönchsberg und die Hohensalzburg, Richtung Westen das Kapuzinerkloster, dahinter den Gaisberg. Obwohl ich schon seit drei Jahren hier lebte, war ich erst einmal hier gewesen und genoss die Aussicht. Nathanael schien sie hingegen nicht zu beeindrucken. Nur flüchtig ließ er seinen Blick schweifen, dann nahm er mit dem Rücken zur Brüstung Platz, woraufhin auch ich mich rasch setzte. Mein Herz begann unrhythmisch zu pochen, als er mich anstarrte, und ich hatte das Gefühl, es würde in meiner

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