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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Kehle sitzen, nicht in der Brust, während meine Brust selbst so hart schien, als würde sie gleich bersten. Ich konnte kaum atmen, schon gar nicht, als wieder ein unerwartetes Lächeln auf seinem Gesicht erschien. War es höflich? Spöttisch? Freundlich?
    Als der Kellner kam, bestellte ich Milchkaffee, er Wasser. Trotz meiner Nervosität knurrte mein Magen vor Hunger – ich hatte an diesem Tag kaum etwas gegessen –, und als der Kellner ein Stück Sachertorte und Apfelstrudel zum Nachbartisch trug, konnte ich mir einen sehnsüchtigen Blick nicht verkneifen. Dem Kellner entging das nicht, und er fragte, ob ich auch Kuchen bestellen wolle.
    Verlegen schüttelte ich den Kopf und wusste nicht recht, wohin mit den Händen. Sollte ich sie auf die Tischplatte legen? Sie darunter verstecken?
    »Nimm doch nur«, meinte Nathan aufmunternd.
    »Du … «, brachte ich heiser hervor, »du isst doch auch nichts.«
    Sein Lächeln verstärkte sich. »Besser nicht.«
    »Warum nicht?«, fragte ich, und dann fügte ich etwas hinzu, was mir noch Tage später die Schamesröte ins Gesicht trieb: »Achtest du etwa auf deine Figur?«
    Ich weiß nicht, was mich da geritten hatte, nur weil er Wasser trank. So holprig ich vorpreschte – so hastig nahm ich meine Worte wieder zurück. »Tut mir leid«, murmelte ich und senkte rasch den Blick.
    Er lachte auf, ein heller, klarer Ton. »Nein, das hat andere … Gründe«, sagte er und lachte wieder.
    Nachdem der Kellner unsere Getränke gebracht hatte, beschäftigte ich mich eingehend mit meinem Milchkaffee, aber irgendwann konnte ich nicht länger darin rühren und vorsichtig daran nippen; also hob ich den Blick wieder und merkte, dass er mich weiterhin auf diese eigentümliche, wenn auch nicht unangenehme Weise fixierte.
    So sehr er bis jetzt an Worten gespart hatte, so selbstverständlich stellte er nun Fragen: Wo ich wohnte und mit wem, wollte er wissen, ob ich immer schon in Salzburg gelebt hätte, wie es mir hier gefiele, wann ich angefangen hätte, Klavier zu spielen.
    Letzteres nun war mein Thema – das einzige, über das ich ganz ohne Schüchternheit und Zögern sprechen konnte. Ich erzählte von meiner ersten Übungsstunde, als ich erst vier Jahre alt gewesen war, und von dem damals überwältigenden Gefühl, diese wunderbaren Töne hervorbringen zu können, von den ersten Lehrern, die mich unterrichtet hatten, von den Komponisten, die ich am liebsten spielte, von den Auftritten und wie viel Kraft sie kosteten, von der Hoffnung, Professor Wagner nicht zu enttäuschen. Ich erzählte von den magischen Momenten, wenn ich vermeinte, ganz in der Musik aufzugehen, wenn sich mein Herzschlag ihrem Rhythmus anpasste, wenn jede Faser meines Körpers sie förmlich einzuatmen schien. Demütig fühlte ich mich dann, weil jemand so etwas Großartiges geschaffen hatte, begnadet, weil ich selbst diesen schmalen Weg, der direkt in den Himmel führte, beschreiten durfte, und glücklich, weil ich meine Berufung gefunden hatte, auch, wenn es manchmal eine Überwindung darstellte, ihr zu folgen.
    Mein Gesicht glühte – jedoch nicht länger vor Verlegenheit, sondern vor Leidenschaft.
    »Man merkt sie dir an«, sagte Nathan unvermittelt.
    »Was?«
    »Diese … Begeisterung. Bewahr’ sie dir! So viele Menschen haben sie nicht für das, was sie tun.« Der unbeschwerte Ausdruck schwand aus seinem Gesicht. Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn.
    »Aber du … du lebst doch auch für die Musik.«
    Seine Züge verdunkelten sich noch mehr. »Schön wär’s«, brummte er. Ich sah, dass sein Glas noch voll war, er hatte erst einen Schluck daraus getrunken.
    »Was meinst du?«, fragte ich. »Du bist doch … «
    »Das ist nicht so wichtig«, unterbrach er mich rasch, und seine Stirn glättete sich wieder. »Auf jeden Fall freue ich mich, dass wir uns begegnet sind.«
    Ich trank meinen Kaffee aus, und er winkte nach dem Kellner, um zu zahlen. Als wir aufstanden, streifte meine Hand flüchtig die seine. Ich zuckte zusammen, als hätte ich mich verbrannt, und suchte seinen Blick. Ob wohl der gleiche Widerwille darin zu lesen war wie in dem Moment, als Matthias ihn berührt hatte? Doch davon war nichts zu sehen, seine Augen strahlten blau, sein blasses Gesicht schien etwas an Farbe zu gewinnen.
    Vielleicht war es lächerlich, in eine kleine Geste so viel hineinzulegen – aber kurz hatte ich nicht nur das Gefühl, das erste Mal in seiner Gegenwart befreit atmen zu können, sondern vor lauter Glückseligkeit zu

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