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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Besseres ein, um mein Hochgefühl und diese tiefe Ehrfurcht zu beschreiben.
    Nathanael sagte nichts.
    Also doch, ging es mir voller Angst durch den Kopf. Er bereut es. Er ist enttäuscht von mir. Er will nicht länger mit mir spielen.
    Doch dann hob er den Bogen, nickte mir zu, und wir begannen mit dem zweiten Satz, dem Allegro scherzando .
    Er dachte in jenen Tagen viel über die Liebe nach.
    Manchmal erschien sie ihm als zärtliche, wärmende, freundliche Gefährtin. Manchmal als die gefährlichste, weil tückischste Gegnerin, mit der er es jemals zu tun gehabt hatte. Sie lockte, erweichte, köderte, verführte – um dann unbarmherzig zuzustoßen. Ihre Schwestern hießen nicht nur Nähe, Vertrautheit und Heimat, sondern auch Ohnmacht und Schmerz, Hoffnungslosigkeit und Eifersucht.
    Erst einmal in seinem ganzen Dasein hatte er so geliebt, so viel hingegeben, so viel verloren. Lange Zeit hatte er versucht, sämtliche Erinnerungen daran aus seinem Leben zu verbannen; erst jetzt beschwor er es herauf – das leidvolle, bittere Ende ebenso wie das Glück der Anfangszeit.
    Selbst damals hatte er nicht geglaubt, dass er den Fluch abzuschütteln vermochte, der seit der Stunde seiner Geburt auf ihm lastete. Aber damals war ihm dieser Fluch für kurze, sehr kurze Zeit als Segen erschienen.
    Sophie …
    Vielleicht wurde auch sie zum Segen für ihn. Wenn sie ihn nur lieben könnte. Selbst dann noch, wenn sie die Wahrheit über ihn wusste. Und wenn ihm sein Widersacher nicht wieder in die Quere käme.
    Sophie …
    Jedes Mal, wenn wir miteinander spielten, hatte ich Angst, dass es das letzte Mal sein würde. Wir vereinbarten zwar stets ein weiteres Treffen, aber insgeheim rechnete ich damit, dass Nathanael bald genug davon haben würde, mit einer Studentin wie mir zu spielen. Warum auch? Ich hatte weder wichtige Konzerte gegeben noch Erfahrung an großen Häusern gesammelt. Ja, ganz sicher würde er irgendwann erst gar nicht mehr im Überaum auftauchen!
    Ich versuchte, mich schon im Vorhinein gegen die Enttäuschung zu wappnen, und war fest entschlossen, ihm möglichst ungezwungen zu begegnen, falls wir uns im Mozarteum fortan nur noch zufällig über den Weg laufen würden. Ich würde so tun, als hätten wir nie ein Wort gewechselt, meine Verletztheit natürlich nicht zeigen, sondern ihn stattdessen sogar anlächeln. Sicherheitshalber übte ich dieses Lächeln schon jetzt vor dem Badezimmerspiegel ein. Je mehr ich mich um Leichtigkeit bemühte, desto verkrampfter und unsicherer geriet es – doch zu meinem großen Glück war es ohnehin nicht nötig, dieses Lächeln aufzusetzen: Denn Nathanael kam immer wieder, und unser regelmäßiges Spiel wurde zur Gewohnheit. Auch weiterhin glaubte ich vor jedem Treffen vor Nervosität zu zerplatzen, aber mit der Zeit bekam ich – wenn auch nicht Routine, so doch Vertrauen, dass diese ungewohnte Leichtigkeit, die ich beim ersten gemeinsamen Spielen gespürt hatte, keine einmalige Sache gewesen war.
    Obwohl ich stets überpünktlich im Überaum erschien, war Nathanael immer schon vor mir da. Bis auf einen knappen Gruß sagte er meistens nichts. Nur selten diskutierten wir über eine Sequenz – worin ihre besondere Herausforderung lag und wie wir sie interpretieren wollten. Er begnügte sich damit, das Cello sprechen zu lassen, und ich konzentrierte mich auf das Klavier.
    Seine Augen waren stets durchdringend auf mich gerichtet, wenn ich später ging – oft hatte ich das Gefühl, sein Blick würde sich förmlich in meinen Rücken bohren –, doch sein Abschiedsgruß fiel jedes Mal knapp aus.
    Am Anfang genügte es mir, mit ihm zusammen zu sein und mich ganz dieser wunderbaren Musik hinzugeben, die wir gemeinsam schufen. Erst nach mehreren Wochen wagte ich zum ersten Mal eine Frage an ihn zu richten, die nicht unsere nächste Verabredung betraf. Bis jetzt hatte meine Unsicherheit die Neugierde immer bezwungen, aber nun brachte ich endlich hervor, was mir auf der Seele brannte: »Wie lange wirst du in Salzburg bleiben?«
    Als Antwort bekam ich ein schlichtes »Weiß nicht.«
    Es fiel mir unsäglich schwer, mich zu überwinden, aber nun, da ich mich so weit vorgewagt hatte, wollte ich nicht gleich wieder aufgeben und stellte nach kurzem Zögern eine zweite Frage: »Was hast du denn vorher gemacht?«
    Hanne hatte es mir zwar in groben Zügen erzählt, aber ich gab mich unwissend, als er nun stichwortartig und ohne jeden Enthusiasmus begann, einige der großen Häuser aufzuzählen, in denen er

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