Der Kuss des Satyrs
Ihre Stimme kam als verzücktes Wispern, sie summte vor Verwunderung und mit einem Anflug von Erfurcht, dass er ausgerechnet sie mit seiner Aufmerksamkeit beglückte.
»Darf ich fragen, welcher Art die Zukunft war, die Euch vorausgesagt wurde, dass Ihr derart reizend errötet?«, fragte er und hoffte, ihr damit ein wenig über ihre Verlegenheit hinwegzuhelfen.
»Ich werde einem gutaussehenden, dunkelhaarigen Gentleman begegnen«, platzte sie heraus.
Ihre Freundinnen warfen ihm scheue Blicke zu und kicherten. Bianca erblasste, als ihr gewahr wurde, was sie da gerade gesagt hatte und zu wem.
»Und wenn Ihr diesen Gentleman trefft, habt Ihr dann vor, ihm einen Tanz zu gewähren?«, erkundigte sich Nick mit ungewohnter Vorsicht. Sie war eine dieser schüchternen Kreaturen, die bei jedem Mann den Beschützerinstinkt weckten.
»Oh«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Alle meine Tänze sind bereits vergeben.«
»Könntest du nicht wenigstens einen für Signore Satyr freimachen?«, ermunterte ihr Bruder sie. Offenbar dämmerte ihm gerade, was Nicks plötzliches Interesse an seiner Schwester für das Familienvermögen bedeuten könnte.
Nick war sich sicher, dass die Rossinis ihn ohne Bedenken akzeptieren würden, so auch Bianca. Sie war zweifellos wohlerzogen und gut auf ihre Pflichten vorbereitet worden. Sie würde seinem Heim und seinem Bett zur Ehre gereichen und ihm keinen Ärger bereiten. Die Ehe mit ihr würde den eingespielten Rhythmus seines Alltags kaum beeinträchtigen. Es gab nur noch die Formalitäten zu klären. Er würde gleich morgen mit seinem Anwalt in Rom sprechen und sie als die Seine beanspruchen, so schnell wie die Hochzeit arrangiert werden konnte.
»Aber das würde sich nicht gehören«, sagte sie.
Nick war für einen Augenblick irritiert, bis er erkannte, dass ihre Worte sich auf seine Bitte um einen Tanz beziehen mussten. »Da habt Ihr natürlich recht. Wie schade für Euren dunklen, gutaussehenden Gentleman und alle anderen, die die Gelegenheit versäumt haben, heute Abend eine Runde auf dem Rasen mit Euch zu drehen.«
»Äh, ja.« Sie blinzelte. Offenbar war sie von seinem Lächeln verzaubert.
Irgendwie war das zu einfach, dachte er. Während er einerseits froh über ihren Mangel an Verstellung war, konnte er doch nicht umhin, sich zu fragen, ob ihre Einfachheit nicht mit der Zeit ihre Anziehungskraft verlor. Sei’s drum. Ehemänner seines Rangs verbrachten nicht viel Zeit mit ihren Ehefrauen. Außerdem hatte jede Fee verborgene Fähigkeiten. Er fragte sich, welche Art der Magie sich hinter ihrem fügsamen Äußeren verbarg.
Der Vorhang öffnete sich, und die Kundin trat aus dem Zelt.
»Wollt Ihr es als Nächster versuchen?«, fragte einer der jungen Männer Nick. Er klang hoffnungsvoll. Zweifelsohne glaubte er, dass die Damen ihre Aufmerksamkeit nicht von Nick wenden würden, solange er bei ihnen war.
Nick bot Bianca seinen Arm. »Da Ihr mir schon keinen Tanz gewährt, wollt Ihr mich dann nicht hineinbegleiten, damit mir die Zukunft vorhergesagt werden kann?«
Biancas erstaunter Blick schoss zu ihrem Bruder.
»Mit der Erlaubnis Eures Bruders natürlich«, fügte Nick hinzu.
»Geh nur, Bianca«, sagte der junge Rossini. »Die Wahrsagerin reicht als Anstandsdame, und ich bin gleich hier draußen vor dem Zelt.«
»Mir ist aber schon geweissagt worden«, erinnerte sie ihn.
»Mir jedoch nicht«, sagte Nick. »Und ich muss zugeben, dass mich die Aussicht, einem echten Medium gegenüberzutreten, etwas verunsichert. Ihr habt diese Wasser augenscheinlich bereits befahren und überlebt. Ich flehe Euch an, bitte begleitet mich und gebt mir die Kraft, die ich dafür brauche.«
Bianca zögerte. Wahrscheinlich fragt sie sich gerade, ob Mama es gutheißen würde, dachte Nick.
Er wandte seine nicht unerheblichen Überredungskünste an. »Eure Augen verraten mir, dass Ihr ein liebes Wesen besitzt. Sicher könnt Ihr mit der Güte Eures Herzens eine Entscheidung zu meinen Gunsten fällen.«
»Äh, ja, natürlich kann ich Euch begleiten«, stimmte sie schließlich zu. Dann beugte sie sich näher zu ihm und sagte: »Aber das Medium ist wirklich gar nicht so furchteinflößend.«
Nick nickte ihrem Bruder zu, dann hielt er den Vorhang auf und ließ Signorina Rossini den Vortritt.
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Kapitel 3
I m Zelt lauschte Jane Cova und verdrehte die Augen angesichts des Süßholz raspelnden Gentlemans. Ließ die junge Dame sich wirklich von solch einstudierter Galanterie beeindrucken? Sie schien wie
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